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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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fuhr sich mit dem schmutzigen Zeigefinger über die Lippen, über denen, so dünkte es Leonor, Bartstoppeln sprossen. Indes, so wusste sie, war dies bei älteren Frauen nichts Ungewöhnliches. Hatte sich nicht sogar bei Anna ein dunkler Flaumansatz gezeigt? Ach, ihre gute Anna …
    „So seid Ihr ebenfalls unterwegs in die heilige Stadt, junger Herr? Aber wieso seid Ihr denn allein unterwegs – Ihr seid doch allein unterwegs? Ihr seht aus wie ein Knappe. Habt Ihr Euren Ritter verloren?“
    Leonor nickte und änderte ihre Geschichte schnell etwas ab. „In den Bergen wurde ich von meiner Pilgergruppe getrennt“, schloss sie, „und seitdem schlage ich mich alleine durch. Nicht sehr einfach für eine F… für einen Jüngling.“
    Die Ordensfrau rückte ihre schleierartige Kopfbedeckung zurecht, biss noch ein Stück Käse ab und klatschte dann in die Hände. „Was für eine Fügung des Himmels, junger Herr. Was haltet Ihr davon, wenn wir unseren Weg gemeinsam fortsetzen? Unter dem Schutz eines stattlichen Knappen, wie Ihr es seid, wird es einer alten Frau wie mir bestimmt leichter fallen, die heilige Stadt zu erreichen. Dort wird es gewiss einfacher sein, sich durchzuschlagen“, meinte sie vieldeutig, was Leonor indes entging.
    Sie dachte kurz nach. Von dieser alten Nonne, wenn ihr diese auch etwas seltsam erschien, drohte ihr keine Gefahr. Im Gegenteil. Die Anwesenheit einer Klosterfrau konnte nur von Vorteil für sie sein. So nickte sie denn und sagte: „Alsdann, lasst uns gemeinsam weiterziehen, Schwester Clara.“
    Wenig später machte sich die ungewöhnliche Reisegesellschaft auf den Weg: ein schlaksiger Knappe, eine gebeugte Nonne, ein magerer Esel und ein riesiger Hund – der aussah, als wäre ihm eine Laus über die Leber gelaufen.
    Hurtig und recht behände für eine ältere Frau hatte sich Schwester Clara auf ihren dünnen Esel geschwungen, der keinen Sattel trug – und saß nun breitbeinig wie ein Mann auf dem geduldigen Tier.
    Wiederum wunderte sich Leonor ob des Gebarens der Ordensfrau und fragte sich erneut, ob man sie mitsamt dem Esel aus dem Kloster gejagt hatte oder ob sie das Tier gar gestohlen hatte. Dann aber sagte sie sich, es sei besser, in Begleitung einer skurrilen Nonne denn allein zu reisen. Und so schritt sie in ihrem neuen Schuhwerk, in das sie geschlüpft war, nachdem sie die Kleidung eines Knappen angelegt hatte, und das ihr ein wenig zu groß war, wacker neben Esel und Nonne her.
    Bauersleute, die in Richtung der kleinen Stadt unterwegs waren, um ihre Feldfrüchte zu verkaufen, beäugten kopfschüttelnd das seltsame Paar. Dass eine Ordensfrau von einem schmucken Knappen begleitet wurde, hatten sie noch nie gesehen.
    Schwester Clara schien hingegen nicht von der zweifelhaften Tugend der Neugier, wie sie den meisten Frauen nachgesagt wurde, geplagt zu sein, denn sie erkundigte sich nicht näher nach dem Schicksal ihres jungen Begleiters, nicht einmal nach seinem Namen, sondern saß schweigend auf ihrem Reittier.
    Soll mir nur recht sein, dachte Leonor, dann brauche ich mir auch keine weiteren Erklärungen einfallen zu lassen.
    Die kleine Stadt, vor deren Toren sie sich begegnet waren, lag nun schon eine ziemliche Wegstrecke hinter ihnen. Sie hatten ein lichtes Wäldchen durchquert und gelangten jetzt an einen Flusslauf, dessen Ränder Leonor recht morastig vorkamen. Vielleicht war das Gewässer vor Kurzem wegen heftiger Regengüsse über die Ufer getreten. Aber der Saumpfad, dem sie folgten, führte direkt am Fluss entlang – war das etwa der mit dem seltsamen Namen Po bezeichnete Strom? Doch nein, Pater Anselm hatte ihn stets als viel breiter beschrieben. Außerdem verläuft er wahrscheinlich weiter östlich, vermutete Leonor.
    Ach, hätte ich doch den Ausführungen von Magister Thomas besser gelauscht, dachte sie, und schon flogen ihre Gedanken zurück in die Kindheit und in die Heimat. Es war seltsam. Niemals hätte sie sich nach der behüteten Zeit auf Burg Guiémar und den glücklichen Jahren auf Eschenbronn ausgemalt, einmal ganz auf sich gestellt durch ein fernes, fremdes Land reisen zu müssen, und dazu noch in so seltsamer Begleitung.
    Ihre Erinnerungen wurden unterbrochen, als plötzlich der Esel vor ihr auf der Stelle verharrte und sich weigerte, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Recht unchristlich drosch die Ordensfrau mit einer dünnen Gerte auf ihn ein. Ist die Alte halb blind, dass sie nicht sah, welche Gefahr sich vor ihr auftat? fragte sich

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