Die Pilgergraefin
mit der zierlichen Figur und den anmutigen Bewegungen einer Frau ausgestattet hatte? Und einer Stimme, die mitunter zu hell klang für einen Knaben, der den Stimmbruch bereits hinter sich gelassen haben musste. Aufgefallen war ihm auch, dass Leon sich recht weit ins Gebüsch zurückgezogen hatte, um sich zu erleichtern. Was unter Männern gemeinhin nicht üblich war.
Oder war sein „Knappe“ eine Frau, die sich aus welchen Gründen auch immer als Mann verkleidet hatte? Und wenn das der Fall war, wie sollte er sich verhalten? Noch nie war ihm zu Ohren gekommen, dass ein Ritter einen weiblichen Knappen gehabt hätte. Er schmunzelte. Eine schwierige, indes auch durchaus reizvolle Situation.
Er warf noch einen Blick auf das Feuer, dessen Flammen nur noch schwach züngelten. Da er in dieser Gegend, die so karg und arm an Wild war, keine Wölfe vermutete, beschloss er, kein Holz mehr nachzulegen.
Über all diesen Gedanken und den Anstrengungen des Tages fielen ihm die Augen zu – jedoch nicht für lange, denn das Knurren des Hundes, das aufgeregte Wiehern der Pferde und eine Hand, die ihn an der Schulter rüttelte, rissen ihn aus seinem kurzen Schlaf.
„Wacht auf, Chevalier! Gefahr droht!“
Ruckartig setzte Robyn sich auf. Sofort hellwach, umfasste er das Heft seines Schwertes, das er stets griffbereit neben sich liegen hatte – auch wenn er es nicht gern benutzte außer zur Verteidigung.
Das Feuer war mittlerweile beinahe völlig heruntergebrannt, sodass er Mühe hatte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen.
„Was ist los, Leon? Werden wir überfallen?“ Er sprang, das Schwert in der Rechten, auf die Füße, bereit, es mit einer Schar Angreifer aufzunehmen, und versuchte, im schwachen Schein des Mondes etwas zu erkennen, sah jedoch nur die Silhouette seines Knappen vor sich.
„Wölfe“, flüsterte Leonor. „Ich glaube, es sind Wölfe.“ Schon mehrmals zuvor, besonders in den Alpen, hatte sie befürchtet, von den grauen Räubern bedroht zu werden.
Robyn spähte in die Nacht. Erneut knurrte Tarras, und es klang drohend und ängstlich zugleich. Doch das Wiehern der Pferde verriet nichts als pure Angst. Und das deutete in der Tat daraufhin, dass sie von Raubtieren bedroht wurden. Und nun sah er sie: die gelblich leuchtenden Augen der Wölfe. So nahe waren sie also schon. Er umfasste das Heft des Schwertes fester, wusste jedoch, dass es ihm im Kampf gegen ein ganzes Rudel kaum nützen würde. Ein oder zwei Tiere würde er erledigen können, aber er hatte vier Augenpaare gezählt, was nicht heißen musste, dass es sich insgesamt auch nur um vier Wölfe handelte. Weitere konnten in dem Gehölz versteckt sein, das die eine Seite der Senke begrenzte. Nun kam ihm die Erfahrung seiner vielen Reisen zugute, denn er wurde nicht zum ersten Mal von Wölfen bedroht.
„Schnell, Leon! Wirf so viele Äste wie möglich ins Feuer. Fache es an, sodass es hell auflodert.“ Noch während er sprach, bückte er sich nach einem kräftigen Zweig und warf ihn ins Feuer. Leonor tat es ihm gleich. Schon bald züngelten die Flammen wieder höher. Unheimliches Knurren und Heulen waren zu hören, aber auch weiterhin das Wiehern der Pferde, die sich aufbäumten und versuchten, sich von den Riemen zu befreien, mit denen sie an den Kiefern festgebunden waren, um ihr Heil in der Flucht zu suchen.
Tarras näherte sich dem Wolf, der sich am dichtesten ans Feuer gewagt hatte, die Rute eingeklemmt, aber doch mutig die Zähne fletschend. Aber er war kein Jagdhund und würde trotz seiner Größe gegen einen Wolf oder gar ein ganzes Rudel Isegrims keine Chance haben. Die ausgehungerten Tiere, die in dieser Einöde nur selten Nahrung fanden, würden ihn zerfleischen.
Robyn sprang zum Feuer, dessen Flammen inzwischen bereits wieder heftig loderten, und zog einen brennenden Ast heraus, den er seinem Knappen in die Hand drückte. „Hier, nimm den, und geh zu den Pferden. Die Wölfe haben Angst vor Feuer.“
Beherzt ergriff Leonor das nicht brennende, indes schon ziemlich heiße Ende des Steckens und schrie leise auf. Doch tapfer biss sie die Zähne zusammen und eilte damit zu Adomar und Aurel. Beim Anblick des feurigen Astes rollten die Tiere mit den Augen, denn ebenso wie die Wölfe fürchteten sie das Feuer. Leonor hielt etwas Abstand und sprach beruhigend auf die Tiere ein, allerdings ohne großen Erfolg.
Dann sah sie entsetzt, wie sich ein besonders mutiger – oder besonders hungriger – Wolf Robyn näherte, und stieß einen
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