Die Pilgergraefin
Trouville.“
„Aha. Und wo liegt die Grafschaft Eures Vaters?“
Sein neuer Knappe war recht wissbegierig. „Vom Burgturm aus kann man den Oberlauf der Mosel sehen“, erwiderte Robyn.
„Gewiss ein hübscher Anblick“, merkte Leonor an.
Seltsamer Knappe, dachte Robyn. Gemeinhin interessierten sich Schildknechte nicht für eine schöne Aussicht. „In der Tat“, sagte er knapp. „Jedenfalls kann sich meine Mutter dafür begeistern.“
„Oh, Eure Frau Mutter lebt noch. Sicher vermisst Ihr sie.“
Wiederum eine ungewöhnliche Bemerkung für einen Jüngling. Aus Erfahrung wusste er, dass junge Männer sich mehr für das Kriegshandwerk denn für ihre Angehörigen interessierten.
„Ja, meine Mutter ist eine außergewöhnliche Frau. Ihr habe ich es auch zu verdanken, dass ich nicht, wie es vielen jüngeren Söhnen vorbestimmt ist, die geistliche Laufbahn einschlagen musste.“ Humorvoll fügte er hinzu: „Oder kannst du dir vorstellen, wie ich als Priester die Messe lese? Oder in einem Kloster als Mönch lebe?“
Da musste Leonor nicht lange nachdenken. „Nein, nicht wirklich. Auf mich wirkt Ihr wie der vollkommene Ritter.“
Das brachte Robyn zum Lachen. „Vollkommen bin ich gewiss nicht, wenngleich ich mir Mühe gebe, meinem König so gut wie möglich zu dienen.“
„So seid Ihr also dem Priesterstand entronnen und zum Kurier des Königs geworden. Wie aufregend. Doch sagt, Sieur, wie konnte es dazu kommen?“ Gespannt blickte Leonor den Chevalier an.
Und wie Robyn es bereits zuvor mit Jérôme auf dem Ritt von Paris nach Avignon getan hatte, erzählte er nun Leon seine Geschichte.
Das Feuer war schon beinahe heruntergebrannt, als Leonor und Robyn versuchten, es sich so bequem wie möglich zu machen. Die Satteltaschen dienten ihnen als Kopfkissen, und ihre Umhänge sollten sie vor der nächtlichen Kühle schützen. Tarras schnarchte bereits, von irgendwoher erklang der Ruf eines Nachtvogels. Doch Leonor konnte, so erschöpft sie auch war, nicht zur Ruhe kommen nach diesem ereignisreichen Tag. Dem Tode nahe nach dem Sturz durch die hinterhältige „Nonne“, gerettet von einem Ritter, der so ganz anders war als alle, die sie bisher kennengelernt hatte – und sie dann auch noch als Knappen in seine Dienste genommen hatte!
Inbrünstig betete sie darum, dass er ihr wahres Geschlecht nicht entdecken möge. Wie würde er sich dann wohl verhalten? Davor war ihr angst und bange. Denn auch wenn der Chevalier in Bezug auf Kriege und Schlachten eine außergewöhnliche Meinung vertrat, so würde er dennoch einen weiblichen Knappen niemals in seinen Diensten behalten. Ohne Frage würde er sie im nächstgelegenen Nonnenkloster abliefern und danach weiter des Weges ziehen, um seine Mission zu erfüllen. Womit genau das passiert wäre, was sie unbedingt hatte vermeiden wollen: Abgeschoben säße sie in einem Konvent. Nun gut, vielleicht wäre die Oberin nicht so streng und kalt wie Hildegardis von Fronholtz – und doch … Nein, das durfte auf keinen Fall geschehen! Sie würde sich zusammenreißen müssen, damit ihr Ritter sie auch weiterhin für den Knappen Leon hielt!
Auch Robyn fand keinen Schlaf. Hatte er recht gehandelt, diesen Leon in seine Dienste aufzunehmen? Die Geschichte von seinem verschollenen Ritter, dem Sieur de Riberac – den Namen hatte Robyn noch niemals zuvor gehört, auch wenn er natürlich nicht alle französischen Ritter kennen konnte –, klang ebenso unglaubwürdig wie Leons Behauptung, er habe allein, nur in Begleitung eines Hundes, die Alpen überquert. Und dann noch die Sache mit der angeblichen Nonne, die ihn in den Abgrund gestürzt haben sollte – der Junge schien eine blühende Fantasie zu besitzen. Aber das wäre ja nicht unbedingt ein Fehler, denn dann würde er ihn vielleicht auf der weiteren Reise mit amüsanten Geschichten unterhalten, die für Abwechslung sorgten, aber niemandem Schaden zufügten. Was ihm imponiert hatte, war die Reaktion des Jünglings auf seine Einstellung zum Krieg. Fast sah es so aus, als würde er diese teilen. Höchst ungewöhnlich für so einen jungen Spund. Die meisten Schildknechte und unerfahrenen Ritter, die nie die Grauen einer Schlacht erlebt hatten, konnten es dagegen kaum erwarten, sich mit Schwert und Lanze im Kriege hervorzutun.
Und das brachte ihn zu dem Punkt, der ihn am meisten beschäftigte, nämlich seine Zweifel am Geschlecht seines neuen Knappen. War Leon tatsächlich ein recht groß gewachsener Jüngling, den sein Schöpfer
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