Die Pilgergraefin
Warnschrei aus. Ungläubig sah sie, wie der Chevalier sein Schwert fallen ließ. Wollte er sich denn gar nicht verteidigen?
Nun bückte sich der Ritter und zog zwei brennende Äste aus dem Feuer, mit denen er drohend auf den Wolf zuging. Die Zähne fletschend wich das Tier zurück.
Dieser Rückzug schien Tarras mit Mut zu erfüllen, denn er sprang knurrend vor. Ein weiterer Wolf näherte sich, als wollte er seinem Gefährten zu Hilfe eilen. Und tatsächlich machten die beiden einen Vorstoß, den riesigen Hund anzugreifen.
Besorgt um Tarras, sprang Leonor vor.
Doch in diesem Augenblick kam Robyn schon mit den beiden brennenden Ästen und wirbelte sie herum. Funken stoben durch die Nacht, und der ein oder andere Funke landete auf den Wölfen und verbrannte ihnen den Pelz. Aufheulend wichen sie zurück.
Wieder wieherten die Pferde angstvoll auf. Leonor fuhr herum und sah sich Auge in Auge mit einem Wolf. Obwohl von entsetzlicher Angst erfasst, hob sie den Arm und tat es dem Chevalier gleich, indem sie den brennenden Ast in Richtung des Wolfes hin- und herschwenkte. Das Tier, offensichtlich von noch größerer Angst erfasst als sie selbst, trat den Rückzug an.
Erleichtert warf sie einen Blick in Richtung des Ritters und sah, dass er weitere Äste ins Feuer warf – wie gut, dass sie am Abend für einen reichlichen Vorrat gesorgt hatten –, bis die Flammen mehrere Ellen hochstiegen und ihren Zweck erfüllten. Denn nun gaben auch die restlichen Wölfe auf, und Leonor sah, wie ihre mageren Gestalten im Gehölz verschwanden.
Schon wollte sie aufatmen, da bemerkte sie eine neue Gefahr. Das trockene Gras hatte Feuer gefangen, und durch den Funkenflug waren einige Büsche in Brand geraten. Nun drohten sie selbst ein Opfer der Flammen zu werden.
Auch Robyn hatte die Lage erfasst. Geistesgegenwärtig riss er die Satteltaschen und die Umhänge, die in der Nähe des Feuers lagen, an sich und stürmte zu den völlig verschreckten Pferden.
„Binde das Packpferd los!“, befahl er seinem Knappen, während er Aurel die Satteltaschen und die Umhänge über den Rücken warf. Dann löste er Adomars Zügel von dem Ast.
Mit zitternden Fingern hatte Leonor das verängstigte Tier losgebunden.
„Schnell, nichts wie weg hier!“, rief Robyn und ergriff die Führleine von Aurel. „Nimm du Adomar. Er ist für solche Situationen trainiert.“
Leonor packte Adomar bei den Zügeln und führte ihn eilends weg von dem bereits brennenden Gesträuch, dessen trockene Äste ein gefundenes Fressen für die gierigen Flammen waren. Gefolgt von Robyn mit dem Packpferd und Tarras, verließ sie fluchtartig die Senke, begleitet vom Geheul der enttäuschten Wölfe.
Kaum hatten sie den Rand der Mulde erreicht, war diese auch schon von einem Feuerteppich überzogen.
21. KAPITEL
L eonor genoss das warme Wasser, das sie im Zuber umspülte und ihren Gliederschmerz nach dem Sturz, den Wurfübungen, dem ungewohnt langen Ritt und der gefährlichen Begegnung mit den Wölfen milderte. Sogleich standen ihr die dramatischen Ereignisse und der weitere Verlauf der Nacht wieder vor Augen …
Am Rand der brennenden Mulde hatte Robyn die Satteltaschen auf dem Packpferd festgeschnallt und Leonor sich auf dessen Rücken geschwungen.
Der Ritter war bei Adomar aufgesessen, und noch entsetzt von dem bedrohlichen Erlebnis, waren sie schweigend und im Schritttempo – es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte – dem Weg zurück gefolgt, den der Chevalier für eine Abkürzung gehalten und der sie beinahe ins Verderben geführt hatte.
Als sie aus einiger Entfernung das Heulen der Wölfe vernahmen, zuckten sie beide zusammen. Ob uns die ausgehungerten Tiere, sobald sie ihren Schrecken überwunden haben, wohl folgen werden? fragte Leonor sich bang.
Der Ritter schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er sagte: „Ich glaube nicht, dass wir noch etwas von ihnen zu befürchten haben. Der Schreck steckt ihnen noch zu sehr in den Knochen.“ Dann fügte er anerkennend hinzu: „Du hast dich sehr tapfer verhalten, Leon. Gewiss wäre mein vormaliger Knappe Jérôme vor lauter Angst geflüchtet – geradewegs in das Maul eines Wolfes hinein.“ Er grinste, was Leonor in der Dunkelheit natürlich nicht sehen konnte.
„Euer Lob macht mich stolz, Chevalier“, erwiderte sie mit leicht bebender Stimme. „Aber ich habe Euch ja versprochen, einen tüchtigen Knappen in mir zu finden. Und dank Eurer List mit dem Feuer haben wir die Wölfe
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