Die Pilgergraefin
vertrieben.“
Robyn tat ihr Kompliment ab. „Diese List kennt ein jeder, der weite Reisen unternimmt und abgelegene Gegenden durchquert, in denen Wölfe und Bären hausen. Wärst du bereits mehr in der Welt herumgekommen, hättest du sie gewiss auch gekannt.“
Nach diesen Worten verfiel der Chevalier wieder in Schweigen, und sie ritten wortlos durch die Nacht, bis sich der Himmel im Osten rot färbte.
Nun, da sie endlich ihre Umgebung wieder erkennen konnten, hielt Robyn seinen Hengst an und sah sich prüfend um. Dann deutete er auf einige Weiden, die in wenigen Hundert Fuß Entfernung wuchsen. „Dorthin wollen wir reiten, denn ich vermute, dass es dort Wasser gibt.“
Und tatsächlich fanden sie gleich hinter den Bäumen einen schmalen Bach, an dessen Ufer sie absaßen und die Pferde von Sattel und Gepäck befreiten. Anschließend tränkten sie die erschöpften Tiere – Tarras versorgte sich selbst und sprang munter im Wasser herum – und reinigten sich selbst notdürftig von den Spuren des Feuers. Danach sanken sie ermattet ins Gras, das den Uferrand bedeckte.
Inzwischen war es hell geworden, doch Leonor fielen die Augen zu. Das war Robyn nicht entgangen, und nachdem er herzhaft gegähnt hatte, sagte er: „Ich denke, wir können hier unbesorgt ein wenig schlafen.“ Scherzhaft fügte er hinzu: „Außer wir haben uns an der Wasserstelle der Wölfe niedergelassen.“
Leonor riss die Augen wieder auf. „Ihr habt eine seltsame Art von Humor, Sieur. Sollten wir nicht lieber ein Feuer machen?“
Robyn schüttelte den Kopf. „Nein, wenn die Wölfe uns gefolgt wären, hätte Tarras es bemerkt und uns gewarnt. Er hat sich übrigens ebenfalls sehr tapfer verhalten.“
Leonor freute sich über das Lob, doch sie war zu müde, um zu antworten. Erneut fielen ihr die Augen zu, und als sie sie wieder öffnete, stand die Sonne schon hoch am Himmel.
Nach einem bescheidenen Mahl, das aus ihren letzten Vorräten bestand, setzten sie die Reise durch die unwirtliche, menschenleere Gegend fort, wobei Robyn sich fragte, warum der Mann, den er gestern nach dem Weg gefragt hatte, ihnen diese Route empfohlen hatte. Immer wieder hatte er behauptet, dass es sich um eine bequeme Abkürzung handelte. Aber vielleicht habe ich ihn auch nicht richtig verstanden, überlegte er jetzt. Der Einheimische hatte in einem Dialekt gesprochen, der ihm nicht vertraut war.
Nach einem mehrstündigen Ritt änderte sich die Landschaft, wurde ein wenig freundlicher und fruchtbarer, was auch einige sorgsam angelegte Felder zeigten. Als sie an ein bescheidenes Gehöft kamen, erkundigte sich Robyn, ob es in der Nähe ein Dorf oder Städtchen gab, und erfuhr zu seiner und Leonors Erleichterung, dass nur etwa fünf Meilen entfernt eine Ortschaft lag, die sogar über eine Herberge verfügte …
Die Herberge, in der sie nun im Zuber lag und sich fragte, wann sie zuletzt ein warmes Bad genommen hatte – sie, die es auf Burg Eschenbronn früher jeden Tag genossen hatte, sich zu waschen, besonders, wenn Anna das Wasser mit duftenden Kräutern und Ölen angereichert hatte.
Anna … Konrad … Konradin. Wieder überkam sie der Schmerz bei dem Gedanken an all die Lieben, die sie verloren hatte. In Anbetracht der Schuld, die sie auf sich geladen hatte, durfte sie wohl kaum damit hadern, dass sie nicht mehr täglich ein Bad nehmen konnte, sondern lieber froh sein, dass der Chevalier so großzügig gewesen war, auch seinem Knappen die Annehmlichkeit, sich ausgiebig zu reinigen, zu ermöglichen.
Der Chevalier … Damit er sie nicht überraschte und als Frau entlarvte, hatte Leonor den Riegel vor die Tür der Kammer geschoben, die sie mit ihm teilte. Erfreut hatte sie festgestellt, dass man das Gelass mittels eines Vorhangs in einen größeren und einen kleineren Raum, der für sie bestimmt war, unterteilen konnte. Vielleicht diente eine solche Vorrichtung im Welschland der Herrschaft dazu – sei es nun ein Edelmann oder eine Edeldame –, eine gewisse Privatsphäre zu verschaffen. Jedenfalls kannte Leonor etwas Ähnliches aus ihrer Heimat nicht, doch hier kam ihr die Aussicht auf Abgeschiedenheit im Hinblick auf ihre Verkleidung nur recht.
Kurz dachte sie an die bisher gemeinsam zurückgelegte Reise und fand, dass der Chevalier ein sehr angenehmer, wenn auch etwas wortkarger Gefährte war. Gelegentlich hatte er ihr einige Wörter und Wendungen der italienischen Sprache beigebracht, und mitunter hatte sie gespürt, dass er sie nachdenklich musterte.
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