Die Pilgergraefin
eingetreten waren, stellte Robyn das Talglicht, das er aus der Gaststube mitgenommen und das ihnen den Weg ins Obergeschoss erhellt hatte, auf einen Schemel und deutete auf die Pritsche im Alkoven. „Dort wirst du nächtigen, Leon.“
„Gewiss, Chevalier“, stimmte Leonor zu. „Ein so bequemes Nachtlager hatte ich schon lange nicht mehr.“ Unter gesenkten Wimpern musterte sie den Ritter und stellte erleichtert fest, dass er den leichten ledernen Brustpanzer, den er auf der Reise trug, wohl schon abgelegt hatte, bevor er in den Stall gegangen war. Seiner restlichen Kleidung würde er sich gewiss ebenfalls ohne ihre Hilfe entledigen können. Ihr Blick fiel auf die Stoffbahnen, mit deren Hilfe man die Kammer unterteilen konnte.
„Mit Verlaub, Sieur, wenn Ihr meiner Dienste nicht mehr bedürft, so würde ich gerne den Vorhang vorziehen. Der Chevalier de Riberac sagte immer, dass ich recht laut schnarche … und vielleicht hält er die Geräusche ein wenig ab, sodass Eure Nachtruhe nicht allzu sehr gestört wird.“
Robyn verzog spöttisch den Mund. „So ein Bürschlein wie du und laut schnarchen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn ich einmal auf meiner Matratze liege und mir die Augen zugefallen sind, kann mich so schnell sowieso nichts mehr wecken – es sei denn, es droht Gefahr. Dann bin ich im Handumdrehen hellwach.“ Er betrachtete die schmale Gestalt seines Knappen und dachte: Vielleicht geniert er sich, weil er so dünn und unmännlich ist. „Wohlan denn, Leon, wenn du glaubst, mich durch dein Schnarchen zu stören, so ziehe den Vorhang vor.“
Erleichtert tat Leonor, wie ihr geheißen. In dieser Nacht, so schien es, würde ihr keine Entdeckung drohen. Geschützt von den Stoffbahnen, die die Kammer teilten, zog sie sich bis aufs Hemd aus, sank mit einem Seufzer auf die Strohmatratze und zog die raue Decke bis zum Kinn.
„Gute Nacht, Leon“, hörte sie die Stimme ihres Ritters.
„Schlaft wohl, Chevalier“, erwiderte sie seinen Wunsch. Die Augen fielen ihr zu, doch schnell murmelte sie noch ein Gebet und dankte der Heiligen Jungfrau, dass sie ihr Robyn de Trouville geschickt hatte.
Schon bald schlief sie ein und versank in einen traumlosen Schlaf.
Robyn hingegen lag noch eine Weile wach und sinnierte über den Jüngling, der geschickt im Messerwurf war, ausgezeichnet im Sattel saß, aber hübsch wie ein Edelfräulein war – und die merkwürdigsten Gefühle in ihm hervorrief …
„Wir erreichen nun bald die Ausläufe der Seealpen“, erklärte Robyn. „Sie sind nicht so hoch wie das Gebirge, das du überquert hast, doch das Gebiet ist sehr einsam, und man sagt, dass sich nicht nur Wölfe, nun ja, denen sind wir ja bereits begegnet, sondern auch allerlei menschliches Gesindel darin herumtreiben. Vielleicht gibt es sogar Bären hier.“ Er warf seinem Knappen einen bedeutungsvollen Blick zu. „Also halte die Augen offen, Leon, damit wir keine unliebsamen Überraschungen erleben. Aber gewiss wird uns auch dein wundersamer Hund rechtzeitig warnen.“
Leonor schaute zur Seite, wo Tarras neben ihrem neuen Pferd herlief.
Am Morgen, nach einer schmackhaften Frühsuppe, war der Chevalier mit ihr zum Viehmarkt der kleinen Stadt gegangen, in der sie übernachtet hatten und die sie viel freundlicher dünkte als jene, wo man sie überfallen hatte. Oder lag das nur an der Gegenwart des Ritters, der ihr dort nicht nur ein eigenes Pferd gekauft hatte, sondern sie es sogar selbst aussuchen ließ: einen nicht sehr groß gewachsenen fuchsfarbenen Wallach. Eine Stute käme nicht infrage, hatte Trouville erklärt, denn sofern diese rossig werden würde, gäbe es Probleme mit seinem Hengst Adomar.
Leonor hatte sogleich Zutrauen zu dem hübschen Tier mit den großen sanften Augen gefasst und sich überschwänglich beim Chevalier bedankt. So groß war ihre Freude gewesen, dass ihr die Stimme sogar kurz in die unverstellte höhere Tonart zurückgerutscht war. Aber sie hatte sofort wieder tiefer und etwas heiser weitergesprochen, so wie sie es, seitdem sie Robyn de Trouville begegnet war, stets tat.
Nun blickte sie in die Richtung, in die der Ritter gedeutet hatte, und sah dunkle Hügel vor sich aufragen, die nur zum Teil bewaldet waren.
„Viele Bäume wurden geschlagen, weil ihr Holz für den Schiffsbau gebraucht wurde“, erklärte Robyn und fügte hinzu: „Ich hoffe, wir werden in Genua einen Segler finden, der groß genug ist, dass er auch unsere Pferde transportieren kann. Meine Mission ist
Weitere Kostenlose Bücher