Die Pilgerin von Montserrat
Rat bitten. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Wir sollten zurück nach Hause gehen.«
»Im Winter kommen wir nicht über die Alpen«, versetzte sie. »Die Pässe sind unpassierbar. Unmöglich. Wir könnten natürlich auch hier überwintern, solange, bis unsere Verfolger das Interesse an uns verlieren und sich selbst auf die Suche machen.«
»Sie werden sie aber nur mit deiner Hilfe finden.«
»Ich habe es meinem Vater versprochen, als er starb. Ich habe versprochen, die Menora zu finden.«
»Du hast recht, Versprechen muss man einhalten. Fragt sich nur, wo wir die Suche fortsetzen sollen.«
»Im Heiligen Land natürlich! Dort nahm alles seinen Anfang.«
Sie hatten ihr Frühstück beendet, standen auf und schlenderten betont gleichgültig auf dem Kai herum. Dann kauften sie einer Ladenbesitzerin ein blaugemustertes Kleid mit dazu passender Haube für Teresa ab, dazu Hemd und Hose für Markus sowie einen Hut, der wie ein umgestülpter Kochtopf aussah.
»Damit werde ich aber keinen großen Staat machen«, witzelte er.
»Gerade das sollst du ja auch nicht«, erwiderte sie.
Sie begaben sich auf ihre Zimmer, um sich umzuziehen. Teresa bezahlte für die Nacht.
»Ihr habt Euch aber merkwürdig ausstaffiert«, wunderte sich die bärtige Wirtin. »Und ich dachte, ich würde feinere Herrschaften beherbergen.«
»Das haben feinere Herrschaften so an sich, die verkleiden sich gern.« Markus lachte sie an.
Die beiden gingen stadteinwärts, auf die Kathedrale zu, die aufeinem Platz von riesigen Ausmaßen stand. Auf der Plaza wurden Stände aufgebaut, es wimmelte von Menschen, Tieren und Waren. Die Kathedrale war so monumental, dass Teresa von einem Schauder ergriffen wurde. Mit drei Türmen schien sie sich geradewegs in den Himmel zu recken. Rechts und links des hohen Eingangsportals, das von Sandsteinreliefs umgeben war, erhoben sich acht Fenster mit spitzen Bögen. Über dem Eingang war eine große Rosette angebracht, und die filigranen Spitzen der Türme verliehen der Kirche einen fast schwerelosen Eindruck.
Beim Eintritt wehte Teresa Weihrauchgeruch entgegen. Wie sehr unterschied er sich doch von den Stoffen, die sie in den Pyrenäen kennengelernt hatte! Viele fromme Christen saßen auf den Bänken oder knieten vor den Statuen der Heiligen in den Seitenkapellen. In der Mitte des Hauptschiffes stand das Chorgestühl, aus dunklem Holz geschnitzt und mit Gesichtern und Spitztürmchen versehen. Im Altarraum mit seinen bunt verglasten Fenstern stand ein Kreuz mit dem Erlöser. Teresa ging zu den Seitenkapellen und suchte so lange, bis sie eine Statue der heiligen Gertrud, der Beschützerin der Reisenden, fand. Sie kniete nieder. Ihre Lippen formten die Worte, ohne dass sie vorher darüber nachdachte, was sie hatte sagen wollen.
»Heilige Gertrud, gebenedeit seist du, lege deine schützende Hand über meinen Begleiter und mich und bitte für meinen Vater, der heute vielleicht schon vor dem Antlitz Gottes steht. Gib mir einen Rat, was ich weiterhin machen und wohin ich mich wenden soll. Soll ich nach Hause zurückkehren und mein Leben in Ruhe verbringen, oder soll ich das Abenteuer wagen, über das große Meer fahren und dort suchen, was unser Eigentum ist? Es beschützen vor den Ungläubigen und dorthin bringen, wohin es gehört?«
Sie schaute empor. Die Jungfrau lächelte lieblich auf sie herab, wenngleich ihre Züge verhärmt und schmerzerfüllt wirkten. Teresa war es einen Herzschlag lang, als habe Gertrud fast unmerklich genickt und ihr zugeblinzelt. Teresa musste das tun, was ihr Herz ihr gebot. Ihr Herz aber gebot ihr Rache.
»Bist du einverstanden, dass ich Rache nehme an denjenigen, die meinem Vater das Leben nahmen und unseres so sehr erschwerten, dass wir nur noch Mühe und Not hatten? Wenn ›Rache‹ für dich nicht in Frage kommt, darf ich diejenigen dann wenigstens dafür bestrafen? Tote säumen unseren Weg. Ich verspreche dir, heilige Gertrud, dass ich den mir vorgegebenen Weg gehen werde.«
In diesem Augenblick setzte brausend die Orgel ein. Das war ein himmlisches Zeichen! Die Gläubigen strömten in die Kirche. Teresa setzte sich zu Markus in eine der Bänke und folgte dem Gottesdienst, in dessen Verlauf ein großes Weihrauchfass an Ketten hin- und hergeschwungen wurde und das Schiff mit einem betäubenden Duft erfüllte. Sie nahmen am heiligen Abendmahl teil. Und über dieses Ritual hatte sich die gesamte Christenheit entzweit. Ist es das Blut Christi, ist es sein Leib oder ist es nur ein
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