Die Pilgerin von Montserrat
die Furie Tisiphone mit ihren Fledermausschwingen?
Sie hatten jetzt das Tal erreicht. Markus wandte sich nach Süden, und sie ritten aus dem bewohnten Teil hinaus in die beginnende Dämmerung. Auf den Feldern wuchs das junge Korn; das tiefblaue Band des Flusses zog neben ihnen dahin. Bald kamen sie zu einem Bauernhaus mit tief herabgezogenem Dach, das mit gelblichen Schindeln gedeckt war. Markus pochte zweimal kräftig gegen die Tür. Im Inneren wurde es unruhig, es klang, als wäre ein Stuhl umgefallen. Die Tür öffnete sich knarrend. Im Lichtschein einer Öllampe stand die Gestalt einer älteren Frau, hochgewachsen, mit schwarzer Haube und dunkelblauem Kleid. Einen Herzschlag lang stand die Bäuerin wie erstarrt da, dann kam Bewegung in sie.
»Markus!«, rief sie aus. »Dass du mir noch heimkommst! Dein Vater hatte dich schon verlorengegeben, aber ich habe immer gesagt, Mann, habe ich gesagt, unser Markus, der kommt durch, der ist aus demselben Holz geschnitzt wie du.« Sie umarmte ihn herzlich, und Teresa sah, dass ihr die Tränen die Wangen herunterliefen.
»Wen hast du denn da mitgebracht?«, wollte sie wissen, als sie ihn einen Moment lang losließ.
»Das ist Teresa von Wildenberg, meine Begleiterin auf dem Weg nach Montserrat«, sagte er. Seine Mutter schloss auch Teresa in die Arme.
»Seid willkommen, beide«, meinte sie. »Aber jetzt kommt erst mal herein.«
Die Stube war niedrig, etwas verrußt und von der Wärme eines Kachelofens erfüllt, der in einer Ecke stand. Im »Herrgottswinkel« befanden sich eine Bank und ein Tisch, darüber ein Brett an der Wand mit Bechern und Gebetbüchern.
»Setzt euch erst mal, ich muss in die Küche, sonst brennt die Suppe an. Der Vater wird gleich kommen, er war auf dem Markt in Schiltach.«
Nach der langen Zeit des Unterwegsseins spürte Teresa endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Die Mutter werkelte in der Küche. Gleich darauf wurde die Tür aufgestoßen, und der Vater Schenk kam herein. Er war wie seine Frau in blaue Bauerntracht gekleidet.
»Ja, wen haben wir denn da?«, sagte er und hängte seine Mütze an einen Haken neben der Tür. »Ich hoffe, du bringst gute Kunde von deiner Reise mit.«
Er schlug Markus kräftig auf die Schulter und gab Teresa eine schwielige Hand, dann setzte er sich zu ihnen an den Tisch. Seine Frau brachte eine Schüssel mit Brotsuppe und eine mit Sauerrahm, dazu hölzerne Löffel.
»Die Löffel habe ich selber geschnitzt«, sagte der Bauer stolz, »aber das weißt du ja, mein Junge.«
»Ach, hätten wir ihn doch nicht ins Kloster gegeben«, jammerte Frau Schenk. »Aus ihm hätte etwas werden können, ein Gelehrter oder Silberschmied …«
»Ruhig, Frau, es war das Beste, was uns damals passieren konnte. – Und die Trude, seine Schwester«, sagte er, an Teresa gewandt, »ist im Nachbardorf gut verheiratet.«
Sie beteten, aßen gemeinsam die Suppe. Selten hatte Teresa etwas so köstlich geschmeckt.
»Wie war denn nun eure Pilgerreise nach Santiago?«, wollte die Mutter wissen.
»Wir sind vom Ziel abgekommen«, antwortete Markus zwischenzwei Bissen. »Unsere Wallfahrt ging nach Montserrat und dann nach Jerusalem.«
»Montserrat?« Die Mutter riss die Augen auf. »Habt ihr die Schwarze Jungfrau gesehen? Seid ihr von euren Sünden erlöst worden?«
»Ja, Mutter. Jetzt müssen wir noch andere Sünder finden und ihrer gerechten Strafe zuführen.«
»Hier, in unserem gottverlassenen Nest?«, fragte der Vater.
»Robert, hast du es denn vergessen?«, fiel die Mutter ein. »Im letzten November, so um Martini herum …«
»Ja, da war was. Da kam ein Mönch zu uns, im schwarzen Mantel und mit einer Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Er bedrohte uns mit einem Messer und wollte wissen, wohin du, Markus, gegangen seiest. Wir konnten ihm nichts anderes sagen als das, was wir wussten: nach Santiago de Compostela!«
»Und es kamen noch mehr«, setzte Frau Schenk hinzu. »Zwei Reiter in ebensolchen Mänteln. Von ihnen ging, wie soll ich sagen, ein Geruch des Todes aus. Auch sie erkundigten sich nach deinem Reiseziel.«
»Ihr könnt beruhigt sein«, sagte Markus. »Wir haben sie unterwegs abgeschüttelt und manches an Erkenntnis und Erfahrung gewonnen. Lasst uns schlafen gehen. Morgen wird ein schwerer Tag. Ich muss nur noch darüber nachdenken, wie wir unerkannt ins Kloster kommen.«
»Was wollt ihr denn da?«, fragte Frau Schenk. »Warum kannst du nicht einfach dort hingehen und dich zu erkennen geben?
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