Die Pilgerin von Montserrat
Bibliothek. Teresa erwachte und schaute um sich. Nein, es war sieben Uhr am Morgen, und es war keine Essenszeit, sondern sie wollten zu einer Pilgerreise aufbrechen. Froben war schon auf, fütterte und tränkte die Pferde. Teresa erhob sich, strich sich das Stroh von den Kleidernund half ihrem Vater, den Tieren Decken und Sättel aufzulegen und das Zaumzeug zu befestigen. Der Burghof war noch vollkommen leer; die Adligen lagen vermutlich noch schnarchend in ihren Zimmern und schliefen ihren Rausch aus. Über den Gemäuern und den bewaldeten Bergen hatte sich Nebel ausgebreitet, über dem ein Hauch von blauem Himmel lag. Das Herbstlaub leuchtete rot und gelb. Sie führten die Pferde schweigend über die Brücke und saßen auf.
»Wo werden wir Markus treffen?«, fragte Teresa.
»Er wollte heute früh hierher, an diesen Platz kommen.«
Teresa sah in der Ferne, dort, wo die Felder in den Wald übergingen, einen Reiter nahen. Sie trabten ihm entgegen. Als sie auf seiner Höhe waren, hielten sie an.
»Einen schönen guten Morgen, Herr Schenk«, sagte Froben.
»Guten Morgen, miteinander«, antwortete Markus. Seine Augen blitzten vor Unternehmungslust.
»Wie habt Ihr den Abgang vom Kloster geschafft?«, wollte Teresa wissen.
Markus lächelte. »Pilgerreisen sind, wenn sie der Buße dienen oder dabei etwas für das Kloster herausspringt, bei den Äbten gern gesehen. Ich habe allerdings nicht verraten, wohin ich wirklich reise, noch, dass ich dabei nicht allein sein werde. Ich habe gesagt, dass ich zum Kloster Wessobrunn pilgere.«
»Dann kann es also losgehen«, meinte Froben.
Teresa gab ihrem Pferd die Sporen. Sie jagten über die Hochfläche dahin. Die Sonne stieg hinter ihnen über die Bergspitzen, und ihre Gestalten warfen fliegende Schatten auf den Weg. Die Welt dampfte. Krähenstetten flog vorüber, wo Teresa sich oft mit den Frauen in den Spinnstuben getroffen hatte. Die ersten Menschen waren auf, begannen ihr Tagewerk, rieben sich die Augen und blickten ihnen verwundert nach. Auf den Äckern lagen Rübenblätter; Bauern brachten mit Ochsenkarren Rinderdung auf die Felder. Der Geruch hing Teresa noch lange in der Nase. Manchmal näherte sich ihr Weg der Abbruchkante, dann konnte Teresa einenBlick tief hinunter ins Tal werfen, wo die Donau durch die noch grünen Wiesen floss. Dohlen riefen, als sie ein größeres Stück Wald aus Buchen und Eichen durchquerten.
Bald kam das Kloster Inzigkofen in Sicht. Das Chorstift der Augustinerinnen wurde im 14. Jahrhundert gegründet, soviel wusste Teresa. Majestätisch tauchte der neu gebaute Kirchturm vor ihnen auf mit Konventsgebäuden, Dormitorium, landwirtschaftlichen Gebäuden, von einer hohen Mauer umgeben. Die Morgensonne schien warm auf die Idylle. Ein Geruch nach Buchsbaum und Lindenblättern wehte herüber.
»Schwester Barbara hält sich während ihrer Mittagsruhe immer im Garten auf«, teilte ihnen die Äbtissin mit. Der Garten war mit Obstbäumen, Gemüse und Blumen bepflanzt. Barbara, eine kleine, magere Gestalt, saß in ihrer schwarzen Augustinertracht auf einer Steinbank. Ihren Blindenstock hatte sie an die Lehne gestellt. Markus blieb zurück, während Froben und Teresa langsam auf die Nonne zuschritten.
»Barbara, wir sind’s, dein Vater und deine Schwester«, rief Froben sie halblaut an.
Barbara zuckte zusammen, doch dann huschte ein Lächeln über ihr schmales Gesicht mit den großen Augen, die auf einen Punkt über ihr gerichtet waren. Sie breitete die Arme aus.
»Wie freue ich mich, dass ihr mich besuchen kommt«, sagte sie mit leiser Stimme und griff nach ihren Händen. Sie betastete Schultern und Gesichter der beiden.
»Wir sind gekommen, um uns für einige Zeit von dir zu verabschieden«, sagte Froben und setzte sich neben sie. Teresa nahm auf der anderen Seite Platz.
»Wohin soll die Reise gehen?«
Froben und Teresa tauschten einen Blick.
»Wir reisen nach Süden, zu einem Kloster in den Pyrenäen. Dort suchen wir nach einem Familienerbstück, das sehr wichtig ist für den Fortbestand unseres Geschlechtes.«
»Was für ein Erbstück?«
»Ein Goldkandelaber, mit Rubinen, Juwelen und anderen Edelsteinen besetzt«, antwortete Froben. »Es darf nicht in die Hände anderer gelangen, sonst geschieht ein Unheil.«
»Unheil gibt es schon genug in der Welt«, meinte Barbara und verzog schmerzlich die schmalen Lippen. »Wird es nicht noch mehr Unheil bringen, wenn ihr diesen Kandelaber sucht, oder noch mehr, wenn ihr ihn findet? Was ist
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