Die Pilgerin von Montserrat
einen langen Gang voraus. Er öffnete eine Tür und bat Teresa mit einer Handbewegung hineinzugehen. Es war das Zimmer, das sie immer bewohnte, wenn sie mit ihrem Vater in Peterszell war, ausgestattet mit einem Himmelbett, einer zierlichen weißen Kommode und einem ebenso weißen, mit hellgrünen Girlanden verzierten Schrankkasten. Der Boden war mit frischen Binsen ausgelegt, als hätten die Diener gewusst, dass sie kommen würden.
»Ich zeige jetzt Eurem Vater sein Zimmer. Um sieben Uhr erwarten wir Euch zum Abendessen.«
»Haben sich hier auch Nachbarn einquartiert?«, wollte Froben wissen.
»Nein, Euer Bruder, Werner von Wildenberg, hat sie schon am Tor wieder fortgeschickt.«
»Das sieht Onkel Werner ähnlich«, sagte Teresa. Sie ging ins Zimmer, legte ihr Reisebündel auf das Bett mit dem blauen, goldbestickten Baldachin und setzte sich auf den eleganten Stuhl. Sieschaute zum Fenster mit seinen gerafften duftigen Gardinen hinaus. Den Park mit seiner Kastanienallee kannte und liebte sie seit ihrer Kindheit. Elstern flogen keckernd in die Wipfel der Bäume. Die Sonne näherte sich dem Horizont und goss rotgoldene Strahlen über das herbstliche Blattwerk. Teresa fühlte sich wohl in dieser Residenz, hatte sich hier immer wohlgefühlt. Ein heißes Bad wäre jetzt nicht übel. Als hätte sie gerufen, klopfte es in diesem Augenblick an der Tür, und ihre Magd Kathrin steckte ihren Kopf mit den braunen Locken herein, die nur mühsam von einer Haube gebändigt wurden.
»Gegrüßt seid Ihr, meine Herrin«, sagte sie mit ihrer hellen Stimme. »Und willkommen im Schloss Peterszell. Ich habe Euch ein Bad vorbereitet.«
»Ich grüße dich auch, Kathrin, und freue mich sehr, dich zu sehen. Ein Bad ist jetzt das Beste, was mir geschehen kann!«
Sie folgte dem Mädchen zur Badestube. Dort war ein Zuber mit heißem Wasser bereitgestellt, Bimsstein, wohlriechende Seife und Handtücher. Kathrin half Teresa beim Auskleiden.
»Was Ihr wohl alles erlebt habt auf der Reise zu dem Kloster«, plapperte sie, während sie die Schnüre von Teresas Kleid löste. »Das ist so verschmutzt, das muss ich gleich in die Wäscherei geben.«
»Ja, es war schon aufregend«, antwortete Teresa, wollte sich aber nicht näher über ihre Abenteuer auslassen. Sie stieg in den Zuber und genoss die Wärme des Wassers. Kathrin rubbelte ihren Rücken mit dem Bimsstein ab.
»Ah, das tut gut«, sagte Teresa. »Wer weiß, vielleicht habe ich mir unterwegs ein paar Flöhe eingefangen. Es hat immer so gejuckt.«
»Flöhe sind eine große Plage.« Die Magd lachte. »Ich zerquetsche sie immer zwischen meinen Nägeln, dass es nur so spritzt.«
Kathrin seifte ihre Herrin gründlich ein, übergoss sie mit weiterem warmen Wasser, half ihr dann aus dem Bad heraus und reichte ihr die Handtücher. Während Teresa sich abtrocknete, bearbeiteteKathrin ihre langen Haare mit einem grobzinkigen Kamm. Teresa schlüpfte in die bereitliegenden frischen Kleider, und Kathrin half ihr beim Befestigen der Bänder.
»Jetzt lasse ich Euch allein«, meinte das Mädchen und ging zur Tür.
Teresa verließ ebenfalls die Badestube und schaute sich nach Markus um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er wird schlafen, sagte sie sich, es war für uns alle anstrengend. Auch sie spürte jeden Muskel in ihrem Körper.
Die Zeit bis zum Abendessen nutzte sie für einen Rundgang durch die kleine Stadt. Durch das Gewirr der Gassen, die von Hausfrauen und Handwerkern bevölkert waren, gelangte sie zur Pfarrkirche St. Martin. Das Gotteshaus stand auf einer Anhöhe, von der aus Teresa weit ins Land blicken konnte. St. Martin war von ihrem Onkel Werner als spätgotische Pfeilerbasilika erbaut worden, wie sie von ihrem Vater wusste. Innen war es still, kein Mensch suchte um diese Tageszeit mehr eine Kirche auf. Teresa betrachtete die Bilder des »Meisters von Peterszell«.
Als sie das Kirchenportal hinter sich schloss, sah sie eine vornehm gekleidete Frau mit einem etwa neunjährigen Kind vorübergehen. Es trug einen roten Samtmantel. Ihr Herz tat einen Satz. Diese kleine Gestalt kannte sie doch! Das blonde Haar mit dem Rundschnitt, die anmutigen Bewegungen. Jetzt drehte sich das Kind zu ihr um und setzte ein feines Lächeln auf. Die Augen waren nachtblau und sahen sie unverwandt an.
»Was drehst du dich denn dauernd um?«, schimpfte die Mutter und zog den Jungen weiter. Kurze Zeit später waren die beiden hinter der Kirche verschwunden. Teresa blieb wie von einem Hammer getroffen zurück.
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