Die Pilgerin von Montserrat
Es war eindeutig Matthias gewesen. Doch was hatte er hier in Peterszell zu suchen? War er vielleicht auf Vakanz bei seiner Familie oder seinen Verwandten? Oder hatte sie das eben nur geträumt? Sie musste es wissen und rannte los. Die Treppe hinunter zum Marktplatz war leer, die beiden waren nirgends zu sehen. Offenbar hatte sie sich das doch nur eingebildet.
Verwirrt lief Teresa zurück ins Schloss, stieg die Treppe hinauf und gelangte durch einen langen Gang, der an beiden Seiten mit Ahnenbildern geschmückt war, zum Speisesaal. Er war sehr groß, mit einer Kassettendecke, rot eingefassten Schlusssteinen und Kronleuchtern, deren Kerzen ein mildes Licht verbreiteten. Froben, in eine seidene, gegürtete Tunika und Halbhosen gekleidet, stand im Gespräch mit seinem Bruder, der ebenfalls elegant gekleidet war. Werner von Wildenberg war groß und kräftig; die gebräunte, verwitterte Haut seines Gesichts deuteten auf viel frische Luft und Sonne hin. Er kam mit ausgebreiteten Armen auf Teresa zu.
»Du hast eine richtig hübsche, ausgewachsene Tochter, Froben«, sagte er. »Gibt es denn schon einen Freier für sie?«
»Das wird sich zeigen«, antwortete Teresa schnell, bevor Froben zu einer Antwort ansetzen konnte. Hinter dem Onkel tauchte eine junge Frau auf. Sie trug einen Hut mit Blumengebinde. Das Oberteil ihres Kleides lag eng an, war tief dekolletiert; der Rock fiel in kunstvollen Falten zum Boden, konnte jedoch nicht verbergen, dass sie schwanger war. Ihr Gesicht war breit, nicht unschön, aber stark geschminkt.
»Das ist Margarethe Faulhans, genannt die Faulhänsin«, stellte Werner sie vor. »Sie ist meine Lieblingsfrau. Und sie wird mir einen Sohn gebären.«
»Wo ist denn Apollonia?«, fragte Froben und mühte sich, Haltung zu bewahren.
Werner lachte. »Apollonia hat sich aus dem Staub gemacht, weil sie sich schämt, mir keinen Sohn geschenkt zu haben.«
Ach, so war das! Wenn man den Herren der Schöpfung keine männlichen Nachkommen schenkte, war man nicht mehr erwünscht. Sie wusste doch, dass es nichts war, zu heiraten. Laut sagte Teresa: »Ich vermisse auch jemanden. Wo ist Markus, unser Reisebegleiter?«
»Verzeih, ich vergaß es dir zu sagen«, entgegnete ihr Vater. »Ihm war es hier zu weltlich, er ist in die Pilgerherberge gegangen.«
Diese Worte versetzten Teresa einen Stich, ohne dass sie genau wusste warum. Fühlte sich Markus als besserer Mensch, weil er ein Mann der Kirche war? Sie wandte sich Margarethe Faulhans zu und gab ihr die Hand. Alle vier nahmen Platz an dem Tisch, der mit Leuchtern, Goldrandgeschirr, Tafelsilber und Herbstblumen in Vasen gedeckt war. Es gab Aal mit Salbei gebraten und eingemachtes Kalbfleisch, dazu funkelnden Wein aus Meersburg. Die Unterhaltung schleppte sich dahin, weil weder Froben noch Teresa so recht über das eigentliche Ziel ihrer Reise sprechen wollten. Sie ließen nur durchblicken, dass sie sich auf eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela begeben wollten.
»Das lobe ich mir«, meinte Werner. Caspar, der Diener, kam herein und brachte den Nachtisch, in heißem Fett ausgebackene Hefeteigklößchen. »Aber seht zu, dass ihr die Pyrenäen noch vor Einbruch des Winters erreicht.«
»Der beginnt früh in der Region, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, erklärte Caspar, und wieder blickte Teresa mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu auf seine Hakennase. Sie war froh, als die Tafel endlich aufgehoben wurde und sie sich in ihr Gemach begeben konnte.
Lange lag sie wach, das späte Essen rumorte in ihrem Magen. Die Sterne auf ihrem Betthimmel leuchteten im Schein des Mondes, der zum Fenster hereinschien. Sie dachte an Markus und an das Kind, das sie gesehen hatte. An die anderen Dinge, die passiert waren, wollte sie lieber gar nicht denken. Ob es tatsächlich Matthias gewesen war? Nein, das konnte nicht sein, um diese Zeit gab es keine Vakanzen. Vorher hatte sie die Bilder des Meisters von Peterszell angeschaut. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Dieser Meister, dessen wahren Namen niemand kannte, hatte auch die Bilder vom Wildenberger Altar gemalt, und bei einem von ihnen, dem Abschied Christi von seiner Mutter, gab es genau so eine Gestalt, einen jungen Menschen, ob Mann oder Frau, wusste sie nicht mehr, in einem roten Samtmantel mit hochgezogener Kapuze. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte dieses Kind aber eher verschlagen als verschmitztgeschaut. Über diesen Gedanken fiel sie endlich in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Tag waren
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