Die Pilgerin von Montserrat
»Dann sollten wir jetzt aber aufbrechen. Der Camino de Santiago ist sehr viele Tagesreisen weit.«
In einer Waffenschmiede, in der die Funken sprühten und es metallisch klirrte, erstanden die drei ein leichtes Breitschwert für Teresa und ein zweihändiges für Markus. Daraufhin bestiegen sie den Segmer, einen Lastensegler von etwa sechzig Fuß Länge, den Froben am Abend zuvor gemietet hatte. Das einzige Rahsegel wurde gehisst. Ein Schiffsjunge führte ihre Pferde über einige Bretter an Deck. Sie scheuten zunächst, doch mit gutem Zureden hatte es derJunge bald geschafft. Schnaubend standen sie zwischen Salzsäcken, Bausteinen aus gebranntem Lehm, Fischkörben und Marktgütern wie Pferdebohnen, Pastinak, Kohl und Rüben.
Als alle an Bord waren, löste ein Seemann das Seil vom Poller. Vom Land her wehte eine kräftige Brise, so dass sie bald an Fahrt gewannen. Der See glänzte in der Morgensonne. Gegenüber sah Teresa eine hügelige Halbinsel, den Bodanrück. Sie waren die Einzigen, die nach Konstanz übergesetzt wurden. Die Seeleute, alle wettergegerbt und in graue Arbeitskleidung gewandet, unterhielten sich halblaut. Teresa stand zwischen Froben und Markus auf dem flachen Boden und schaute nach vorn. Sie hörte Möwen kreischen, hörte das Ächzen der Planken, atmete den Geruch der Fische und des Wassers ein und spürte die Wärme der Sonne auf ihrer Haut. Eine ganze Weile genoss sie die Überfahrt schweigend. Als sie sich dem Ufer näherten, flaute der Wind ab. Die Seeleute sprangen auf und begannen mit langen Pinnen, den Segler am Ufer entlang zu staken. Dort wuchsen hohe, buschige Weiden, die ihre gelben Blätter ins Wasser hängen ließen.
Die Insel Mainau kam in Sicht. Sie hätte den Ordensrittern gehört, erklärte Froben, sei jetzt aber verlassen. Immer wieder sah Teresa kleine Strände, deren weißer Sand vom See angespült worden war. Blesshühner und Enten schwammen schnell davon, wenn das Boot sich näherte. In der Bucht von Konstanz frischte der Wind wieder auf, so dass sie bald in den kleinen Hafen einfuhren. Rechterhand sah Teresa ein großes Haus, das nur das Konzilsgebäude sein konnte. Sie wusste, dass hier 1415 Johannes Hus zum Tode verurteilt und später verbrannt worden war.
»Zur Zeit findet im Konzil ein Hexenprozess statt«, sagte Froben.
Teresa erschrak.
»Diese Unholde sollen brennen!«, murmelte ein Arbeiter und warf das Seil um den Poller am Kai. »Sie bringen überall Pestilenz und Tod.«
Keiner antwortete dem Mann. Schweigend führte der Schiffsjungedie Pferde an Land. Froben griff in seinen Sack mit den Goldstücken. Teresa sah, dass die Augen der Männer gierig aufleuchteten. Ihr Vater bezahlte dem Kapitän die Überfahrt, und sie wünschten einander einen guten Tag. Da standen sie nun am Hafen dieser Stadt. Von den Bäumen war das Laub abgefallen und säumte die Wege. Sie saßen auf und ritten durch die engen Gassen, über die Plätze bis hin zum Rhein, der an dieser Stelle aus dem Bodensee trat. Eine Holzbrücke war darüber errichtet, auf der anderen Seite begrenzt durch ein massiges Tor. Das war der Scheideweg. Wenn sie hinüberritten, würde nichts mehr sein, wie es einmal war. Vom Kreuzlinger Tor aus folgten sie einem Weg am Bach entlang und dann dem Emmishofer Pilgerweg. Im »Gasthof zum Englischen Gruß« nahmen sie ihr Mittagsmahl ein. Danach ging es recht steil zum Seerücken hinauf. An der Kapelle Bernrain warfen sie einen letzten Blick zurück zum See, der in der Nachmittagssonne glänzte. Im Dunst der Ferne waren alte Vulkane zu erkennen.
Durch lichte Wälder und über sonnige Höhen erreichten sie gegen Abend ein Dorf, wo sie sich in der Pilgerherberge »Zum Löwen« einmieteten. Es war ein spitzgiebeliges Haus mit rotem Fachwerk, umgeben von einem Garten mit letzten Astern. Vor dem Abendessen spazierten sie noch ein wenig durch das Dorf. Teresas Beine waren steif vom langen Ritt. Friedlich saßen die Menschen nach des Tages Arbeit vor ihren Häusern. Teresa merkte, dass Markus sie immer wieder von der Seite her ansah, tat aber so, als bemerke sie es nicht. Als er in ein Gespräch mit einem Bauernpaar vertieft war, nahm Teresa ihren Vater zur Seite.
»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob wir Markus trauen können«, sagte sie leise.
»Warum nicht?«, kam es überrascht zurück.
»Wegen der Reiter. Wer außer ihm könnte in Agenbach darüber geredet haben, wohin wir reisen?«
»Ich glaube, du hörst mal wieder das Gras wachsen«, meinte Froben und lachte.
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