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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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»Auch wenn es nach Schnee riecht.«
    »Vielleicht sollten wir hier noch einmal Station machen«, warf Markus ein. »In den Bergen schlägt das Wetter oft ganz schnell um.«
    »Was sollen wir den ganzen Tag in diesem Nest anfangen?«, entgegnete Teresa. »Und wer weiß, ob das Wetter morgen besser sein wird.« Versuchte Markus, sie am Weiterreisen zu hindern?
    »Fragt die Bauern des Dorfes. Von denen würde sicher niemand freiwillig auf den Pass hinaufgehen«, erklärte er.
    »Papperlapapp«, meinte Froben. In seiner Stimme schwang ein drohender Unterton. »Wenn du hier bleiben und Däumchen drehen willst – nur zu. Wir beide gehen weiter, nicht wahr, Teresa?«
    »Ja, ich möchte unbedingt weiter«, sagte sie.
    Ein Bauer, der einen Handkarren mit Tannenreisig zog, ging vorüber.
    »Grüß Gott«, rief Froben ihm zu. »Wie wird das Wetter in der Gegend? Ist der Pass frei?«
    »Grüezi miteinand«, antwortete der Bauer. »Da droben hat’s geschneit gestern Nacht, da hätt ich nicht draußen sein wollen.«
    »Aber man kommt hinüber?«
    »Das kann ich nicht sagen, der Herr, es geht tausend Fuß und mehr hinauf. Manche hat’s schon verwischt da oben.«
    Der Bauer legte die Hand an die Mütze und ging weiter.
    »Da siehst du’s«, sagte Markus und stand auf. Er ballte die Fäuste, die inzwischen rot vor Kälte waren.
    »Es könnte unser aller Tod sein, da hinaufzugehen«, presste er heraus.
    War er vielleicht ein Ofenhocker, einer, der nichts wagte und deshalb auch nie etwas gewinnen würde? Teresa sah den Kandelaber vor ihrem inneren Auge, wie sie ihn im Traum gesehen hatte, goldglänzend und mit funkelnden Edelsteinen besetzt. Wie wunderbar musste es sein, ihn zu besitzen! Und nicht nur das: Sie dachte auch an die Länder, die sie sehen, die Menschen, die sie kennenlernen, und die fremden Genüsse, die sie auf der Zunge schmecken würde. Laut sagte sie: »Wir sind jetzt im Monat Oktober, da werden wir in den Bergen immer wieder mit Schnee, mit Stürmen und anderen Gefahren rechnen müssen. Wenn wir zu viele Rücksichten nehmen, können wir gleich wieder nach Hause gehen!«
    Markus schien nun überzeugt zu sein. Er blickte sie mit einem freundlicheren Ausdruck an.
    »Natürlich werde ich nicht nach Hause gehen, sondern euch weiter begleiten. Das habe ich mir zur Aufgabe gemacht.«
    Froben sah erleichtert aus, und so packten sie ihre Sachen auf die Pferde, stiegen auf und ritten los in Richtung Pass. Zunächst führte der Weg über sanft ansteigende Matten, auf denen noch letzte Strohbündel standen. Froben wies auf eine Wiese, die Rütli-Wiese, wie er sagte. Dort sollten drei Männer den Schwur geleistet und dieUrschweiz ausgerufen haben. Vor einem Bauernhaus stand ein blonder Junge und winkte ihnen zu. Teresa fuhr zusammen. Hatte sie diesen Burschen nicht schon einmal gesehen? Wieder fiel ihr Matthias, der Lateinschüler aus Agenbach, ein. Nein, das war einfach nur ein kleiner blonder Junge, sie hörte überall das Gras wachsen.
    Im Bergschatten war vom Wind nicht viel zu spüren, und bald fielen die ersten Flocken, dick und weich. Sie wurden dichter, wirbelten durch die Luft, bedeckten Gras und Matten mit einer weißen Schicht. Teresa setzte ihre Pelzmütze auf. Die Hufe der Pferde knirschten, ihr Atem flog ihnen dampfend um die gespitzten Ohren. Je höher sie hinaufkamen, desto kälter wurde es, und desto dichter kamen ihnen die Flockenwirbel entgegen. Der Wind hatte gedreht, er kam jetzt nicht mehr vom See herüber, sondern wehte ihnen direkt vom Pass ins Gesicht. Er war so schneidend, dass er Teresa die Tränen in die Augen und die Röte in die Wangen trieb. Die Pferde schnaubten, ihr Schritt wurde langsamer, weil sie sich dem Wind und dem Schneetreiben entgegenstemmen mussten.
    Teresa verspürte ein dringendes Bedürfnis. Wie sollte sie das den Männern beibringen, hier, mitten in den feindlichen Bergen? Sie versuchte es noch eine Zeitlang zu unterdrücken, doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und verkündete: »Ich muss meine Notdurft verrichten. Können wir einen Augenblick anhalten?«
    Die beiden Männer blickten sie entgeistert an.
    »Brr«, machte Froben. »Ich muss auch mal«, meinte er.
    Teresa stieg ab, band ihr Pferd an eine Krüppelkiefer und entfernte sich so weit, dass sie nicht mehr gesehen werden konnte. Der Schnee war hier sehr tief, und sie war froh, als sie einen Busch erreichte und dahinter verschwinden konnte. Sie hob ihren Rock unter dem Mantel, ging in die Hocke und erleichterte sich.

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