Die Pilgerin von Montserrat
Die Schneeflocken waren zu Eisnadeln geworden, die ihr in die Haut stachen.
Als sie fertig war, brach sie auf, um zu den anderen zurückzukehren. Sie ging um den Busch herum und erstarrte. Weit und breitnur Weiß, nur heulender Wind, nur eine einzige, undurchdringliche Wand. Sie wusste nicht mehr, aus welcher Richtung sie gekommen war. Die Kälte drang unter ihre Kleider, sie wurde immer steifer, je länger sie stehen blieb.
Teresa versuchte zu rufen, doch der Wind trug ihre Stimme fort. Sie wandte sich in die Richtung, aus der sie gekommen zu sein glaubte. Anfangs fiel es ihr noch leicht, aber mit der Zeit wurde es immer schwieriger, die Füße aus dem tiefen Schnee herauszuziehen. So weit war sie doch gar nicht von den anderen weggegangen. Hier musste es gewesen sein. Doch sie sah nur das Weiß, soweit ihr Blick reichte, spürte den eisigen Wind, spürte, dass sich in den Winkeln ihrer Augen und unter ihrer Nase Eis gebildet hatte. Sie schlug eine andere Richtung ein, setzte einen Fuß vor den anderen, kämpfte sich durch den eisigen Sturm.
Gott, gib mir die Kraft, das durchzustehen! dachte sie. Wenn ich hier wieder herauskomme, werde ich alles versuchen, den Kandelaber zu finden und ihn zum Wohle anderer einzusetzen. Jeder Eigennutz sei mir fern.
Ein windzerzauster Busch kam in Sichtweite. Das war doch … Teresas Mut sank. Hier hatte sie erst vor kurzer Zeit gesessen und … sie war im Kreis herumgelaufen! Immerhin war das ein Anhaltspunkt. Sie musste nur die richtige Richtung finden. Vielleicht war ihr Rufen durch das Tosen des Sturmes überhört worden? Hier stand also der Busch. Aber war es überhaupt derselbe? In ihrem Kopf drehte sich alles. Im Schnee waren keinerlei Spuren mehr zu erkennen. Natürlich, dass sie daran nicht gedacht hatte. Vielleicht würde sie in einen Abgrund fallen und nie mehr gefunden, ein eisiges Grab auf diesem Berg würde ihr zuteil werden. Sie sank zu Boden, fiel in das kalte weiße Bett, das ihr bald schon wärmer erschien. Die Flocken überpuderten ihren Körper, hüllten ihn immer mehr ein. Sie musste aufstehen und weitergehen, sonst war sie dem Tod anheimgegeben. Wenn sie liegen blieb, würde sie immer mehr erstarren, der bleiche Reiter würde kommen, ganz allmählich würde er aus dem Nichts auftauchen und sie holen. ImFrühling fand sie dann ein Bauer und fragte sich, was dieses Mädchen auf dem Berg wohl gewollt habe. Der Traum war ausgeträumt! Kein Kandelaber, keine fremden Länder und Genüsse. Wie schön war es, daheim in Wildenberg zu sein, das Knistern der Buchenholzscheite zu hören, mit dem Vater über die Chronik gebeugt zu sitzen. Wäre sie doch niemals losgegangen! Aber dann hätte sie nichts erlebt, wäre vielleicht als alte Jungfer in ihrer Kemenate gehockt und hätte für den Rest ihres Lebens an der Chronik geschrieben. Das hier war das Leben, es war aber auch Gefahr und Todesnähe. Und Markus hätte sie niemals kennengelernt. Er hatte recht, sie hätten unten am See warten sollen, bis das Wetter besser wurde. Wie sehr sie seinen lustigen Blick vermisste, sein Lachen, seine warmen Hände!
15.
Teresa gab sich einen Ruck, stand mühsam auf, schüttelte den Schnee von den Kleidern und tat ein paar Schritte nach vorn. War da nicht ein kleiner Punkt, ein schwaches Licht? Sie raffte Mantel und Kleider näher an ihren Körper und ging darauf zu, so schnell es ihre klammen Glieder und der hohe Schnee erlaubten. Das Licht wurde größer, und bald erkannte sie zwei schemenhafte Gestalten. Einer von ihnen hielt eine Fackel in der Hand. Sie war gerettet. Nie würde sie den Ausdruck vergessen, mit dem Markus sie ansah. So schaute man niemanden an, dem man ans Leben wollte. Sein Blick war eher … besorgt und liebevoll.
»Ich habe große Angst um dich gehabt, Teresa«, sagte er.
»Ich auch«, meinte Froben. »Entferne dich nie wieder von uns bei einem solchen Wetter!« Er bewegte drohend den Zeigefinger, nahm ihre Hände in seine, rieb sie und half ihr aufs Pferd.
Sturm und Schneefall hatten ein wenig nachgelassen, so dass sie etwas bequemer weiterreiten konnten. Rechts und links türmten sich steile Felsen. Im Dorf Emmeten wärmten sie sich in einer Gaststube auf, bevor es wieder hinunterging Richtung See, zum Städtchen Buochs. Teresa war froh, als sie Stans erreichten und sie sich in einem warmen Bett ausstrecken konnte.
Die Weiterreise verlief zunächst ohne Zwischenfälle. Es war wieder wärmer geworden; nur auf dem Brünigpass erlebten sie erneut ein
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