Die Pilgerin von Montserrat
nicht zur Kommunion ging, musste öffentlich Kirchenbuße tun. Fürwahr eine sonderbare Form der Heilsverkündigung! Die ›Nichtauserwählten‹ müssen seiner Ansicht nach mit Feuer und Schwert ausgerottet werden.«
Markus’ sonst so fröhliches Gesicht wirkte nachdenklich, fast traurig.
»Lasst uns dieses strenge Gotteshaus verlassen«, sagte er halblaut. »Wer weiß, ob wir nicht beobachtet werden. Ich bin nicht mit euch aufgebrochen, um in dieser Calvinistenstadt geröstet zu werden.«
»Es ist nicht allein Calvin anzulasten«, entgegnete Froben. »Wir haben schon bei Luther gesehen, dass eine Lehre falsch ausgelegt oder zu anderen Zwecken missbraucht werden kann.«
Die Bauernkriege kannte Teresa nur vom Hörensagen. Sie wusste, dass ihr Vater sich in dieser Zeit unparteiisch verhalten und seinen eigenen Leuten genügend Lohn gegeben hatte. Es war auf beiden Seiten Unrecht geschehen: Die ausgehungerten Bauern hatten sich zu Recht erhoben, jedoch beim Spießrutenlaufen der Adligen in Weinsberg ihre Grenzen weit überschritten.
»Wir sollten uns endlich Pilgerkleidung besorgen«, fuhr Froben fort. »Bis jetzt war es noch einfach, bei den Leuten als reisende Kaufleute durchzugehen, die auf den Weg nach Santiago sind. Hier jedoch werden wir ganz anderen Fragen ausgesetzt sein.«
»Wir müssen die Stadt so schnell wie möglich verlassen!«, sagte Teresa, als sie durch das Portal schritten.
Sie holten ihre Pferde und führten sie hinter sich über den Marktplatz. Froben kaufte einen Sack Hafer für ihre Tiere und ließ sie am Brunnen trinken. Sie bogen in eine der Gassen ein. Kurze Zeit später wurden sie fündig. Über einem Laden war ein Schild befestigt: Mercerie David Berr. Die Tür stand offen, ein Vorhang aus kleinen Glocken klingelte leise, als sie eintraten. Im Laden, der eine niedrigeDecke hatte und düster war, stand ein älterer Mann in dunkler Kleidung. Es roch nach frischem Tuch, nach Seife und Wachs. In Regalen an den Wänden waren Stoffe aufgeschichtet, Atlas, Leinen und Damast. Hier gab es alles, was den Menschen das Leben angenehmer machte: Messer, Nadeln, Garnrollen, Hanfseile, Eisen zum Glätten von Kleidungsstücken, Wollknäuel, Knöpfe, Kragenbesätze und vieles mehr.
Monsieur Berr wandte sich ihnen zu. Er hatte ein schmales, faltiges Gesicht mit hohen Brauen, klugen Augen und einem grauen Spitzbart.
»Womit kann ich Euch dienen?«, fragte er mit einer volltönenden Stimme.
»Wir brauchen Pilgerkleidung für den Weg nach Santiago«, entgegnete Froben. »Kukullen, Skapuliere, Mäntel, Wanderstäbe …«
»Alles mit der Pilgermuschel verziert? Wartet einen Augenblick.«
Der Ladenbesitzer wandte sich um und ging in einen Nebenraum. Er sprach mit einer Frau, offenbar auf Hebräisch. Bald kam er mit dem Gewünschten zurück.
»Früher kamen viele Pilger vorbei, die nach Santiago wollten«, erklärte er. »Nach den Unruhen der Reformation hat das nachgelassen. Deshalb habe ich noch einiges im Lager gehabt.«
»Wie ist denn die Lage in der Stadt?«, fragte Markus. »Die Menschen sehen nicht gerade glücklich aus.«
Monsieur Berr schaute sich vorsichtig um, als könne er belauscht werden.
»Wer seid Ihr? Kann ich Euch vertrauen?«
»Wir sind reisende Kaufleute aus dem Reich und sind auf dem Weg nach Santiago, um die Wahrheit und Gott zu finden«, antwortete Froben, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach.
»Die Wahrheit und Gott! Danach sollte ein jeder suchen und nicht diejenigen, die anders denken, die auf anderem Weg dorthin kommen wollen, vernichten! Es ist eine Schande! Das Leben war beschaulich, Christen und Juden lebten in Gemeinschaft zusammen.Zwar ist es uns von alters her verboten, mit Christen Umgang zu pflegen, ihre Brunnen zu benutzen, untereinander zu heiraten oder Geld zu verleihen, aber die Wirklichkeit war immer anders. Die meisten Juden meiner Gemeinde sind vertrieben worden, und auch wir müssen bald gehen.«
»Werdet Ihr bedroht?«, fragte Froben.
»Die Gendarmen können jederzeit kommen und uns holen. Dabei brauchen die hohen Herren uns, sie haben uns immer das Geld abgenommen, das wir verliehen hatten.«
»Wo könnt Ihr denn hingehen?«, fragte Teresa.
»Nach Frankreich, da sind die Katholiken noch an der Macht. Zwar wurden wir schon im 14. Jahrhundert auch dort vertrieben, aber im Süden, in der Provence, im Elsass und an einigen anderen Stellen konnte sich eine Gemeinschaft erhalten. Französische Dichter bezeichneten uns als sanftmütig, viel mehr
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