Die Pilgerin von Montserrat
Markus war die Röte ins Gesicht gestiegen.
»Das tue ich gern«, meinte er. »Aber kannst du nicht einen etwas höflicheren Ton anschlagen?«
Das Gesicht ihres Vaters wirkte müde und eingefallen. »Ich habe dich beobachtet, Markus Schenk. Du bist Teresa nachgeschlichen, um sie beim Baden zu beobachten«, zischte er zwischen den Zähnen hervor.
»Ich bin ihr überhaupt nicht nachgeschlichen. Sie hat sich zufällig da gewaschen, wo ich unter einem Baum saß und mich ausruhte. Die Augen habe ich abgewendet. Was ist daran verdammungswürdig?«
»Es ist meine Schuld«, mischte sich Teresa ein. »Ich hätte mich weiter entfernen müssen.«
»Hast wohl ein Auge auf den jungen Mann geworfen? Das solltest du lieber bleiben lassen, schließlich hat er ein Gelübde abgelegt.«
War ihr Vater etwa eifersüchtig? Sie trat zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Vater, beruhige dich, du weißt doch, was ich immer in dieser Angelegenheit zu sagen pflegte …« Sie zwinkerte ihm zu.
Froben lachte, und gleich sah sein Gesicht viel entspannter aus. »Entschuldigt, ihr beiden, bin eben nicht mehr der Jüngste, und die Strapazen dieser Reise setzen mir mehr zu als euch.«
Sie aßen und sammelten dann die Reste der Mahlzeit zusammen.Die Sonne schien noch recht warm, aber die Schatten wurden länger. Teresa und die anderen saßen auf, und sie ritten weiter. Der Weg führte nun ständig bergab. Der Vierwaldstätter See lag glitzernd unter ihnen, eingerahmt von Bergen, die steil in den Himmel ragten, und dem dunklen Grün der Tannen.
Gegen Abend erreichten sie den Weiler Brunnen direkt am See. Es war nicht mehr als eine Ansammlung von Häusern, eine Gastwirtschaft gab es nicht.
Daher fragten sie im Dorf herum und schliefen schließlich in der Scheune eines Bauern. Einige Zeit lag Teresa wach und lauschte auf die Atemzüge der beiden Männer, die ein schickliches Stück von ihr entfernt lagerten. Das Stroh piekste durch ihre Decke, und mehrmals war sie versucht zu niesen. In den Duft der Halme gehüllt, schlief sie bald darauf ein.
Das Gackern von Hühnern und ein Bimmeln von Kuhglocken weckten Teresa auf. Es war so kalt, dass sie ihren Atem wie eine kleine Wolke vor sich schweben sah. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, es herrschte ein düsteres Zwielicht in der Scheune. Markus und Froben reckten sich und schauten sie aus verschlafenen Augen an.
Froben gähnte. »Einen wunderschönen guten Morgen«, wünschte er. »Heute haben wir einen gewaltigen Abschnitt vor uns – mit dem Schiff, sie nennen es hier ›Naue‹, hinüber nach Treib und dann über den Seelisberg gen Stans.«
Teresa stand auf, schüttelte das Stroh von ihren Kleidern, nahm ihren Reisebeutel und ging nach draußen. Das Seeufer war hier flach und noch grün bewachsen. Hinter den Bergen im Osten zeigte sich ein rötlicher Streifen. Der Bauer, die Knechte und Mägde waren schon bei der Arbeit, schaufelten Mist aus dem Stall, gaben den Hühnern Futter und molken die Kühe. Der See lag vor Teresa wie flüssiges Metall. Dunkel ragten die grauen Riesen über dem Wasser auf, das kleine Wellen ans Ufer warf. Nebelschwaden stiegen auf und waberten über der Oberfläche entlang, bis sie vom ersten Sonnenstrahlerfasst wurden und sich auflösten. Ein Knecht brachte ihnen die Pferde, und der Bauer gab ihnen für ein paar Münzen eine Butterkugel, in Ahornblätter gewickelt, und andere Nahrungsmittel mit auf den Weg. Von ihm erstand Froben auch Fellmäntel und Pelzmützen – wegen des vorzeitigen Wintereinbruchs in den Bergen. Er selbst trug seinen alten, grauen Pelz. Die drei ritten zur Schiffslände hinunter, wo ein großes Segelboot vertäut lag, ähnlich der Lädine auf dem Bodensee. Es war mit Salz, Fischen und Stoffballen beladen. Die Pferde wurden über einen Holzsteg auf das Schiff gebracht. Das Wasser hatte nun eine dunkelgrüne Farbe. Am Himmel zeigten sich langgezogene Wolken.
Teresa hüllte sich in ihren wärmenden Mantel. Glücklicherweise wehte ein Wind von Nordwesten her, so dass sie bald darauf am »Seegaden« landeten, einem gedeckten Wehr zum Anlegen von Nauen und Ruderschiffen. Der kleine Ort bestand aus niedrigen Bauernhäusern, die auf Steinsockeln erbaut und mit dunklem Holz verkleidet waren. Der Himmel hatte sich inzwischen bedeckt, der Wind war stärker geworden. Im Schutz einer Tanne mit lang herabhängenden Ästen verzehrten sie ihr Frühbrot.
»Wir müssen weiter«, meinte Froben mit einem Blick auf die schnell dahinjagenden Wolken.
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