Die Pilgerin von Montserrat
westlich gehen.«
»Und Ihr seid vor dem Getriebe der Welt hierher geflohen, nehme ich an?«, fragte Markus, an den Eremiten gewandt.
»Fragt ruhig, junger Mann, das ist die Neugier und die Kraft der Jugend, die aus Euch spricht«, versetzte der Einsiedler. »Ich kam vom Kloster San Juan de la Peña in den Pyrenäen. Dort wurde ein Kelch als ›Heiliger Gral‹ verehrt. Ich konnte diesen Tanz um das Goldene Kalb nicht mehr ertragen und bin deshalb hierher, in dieProvence gekommen, um ein einsames, gottgefälliges Leben zu führen, ohne die Anfechtungen von Gold und Diamanten.«
Der Heilige Gral? Davon hatte Teresa schon gehört. Ihre Reise nahm immer seltsamere Ausmaße an.
»Der Heilige Gral?«, fragte Froben erregt. »War es vielleicht ein … Leuchter? Ein Goldkandelaber, mit Edelsteinen versetzt?«
»Nein, es war eine goldene Schale, die das Blut Christi aufgefangen hat. Wollt ihr seine Geschichte hören? Aber kommt herein in meine Klause, hier draußen ist es doch gar zu kalt.«
Sie folgten dem alten Mann in die Steinhütte. Drinnen war es dämmrig, und es roch nach Schafen, aber es war wesentlich wärmer als im kalten Wind vor der Tür. Auf Geheiß des Mannes setzten sie sich auf Schaffelle, die auf dem Boden ausgebreitet waren.
»Ich vertraue Euch, ich sehe es Euren Gesichtern an, dass Ihr ehrliche und gottesfürchtige Menschen seid«, begann der Eremit. »Ich brauche Euch auch nicht zu fragen, woher Ihr kommt und wohin Ihr geht. Ihr kommt aus dem Heiligen Römischen Reich und seid unterwegs nach Santiago de Compostela oder wenigstens zu einem der Klöster, die den Heiligen Gral verwahrt haben sollen. So hört nun die Geschichte. In einer Urkunde, die am 14. Dezember 1134 in San Juan ausgestellt wurde, heißt es, daß das Kloster im Besitz jener Schale sei, die Christus Jesus und den Jüngern beim Abendmahl diente. Diese Schale war aus Achat gefertigt, eingefasst in eine goldene, mit Perlen, Smaragden und Rubinen verzierte Halterung. Die Schale ruhte auf einem Fuß aus Onyx und hatte auf dem Berg Golgatha das Blut Christi aufgenommen, das vom Kreuz herabfloss. Danach sei die Schale von Jerusalem nach Rom gelangt. Papst Sixtus II. habe sie im Jahr 257 oder 258 seinem Diakon, dem Heiligen Laurentius, anvertraut. Bevor Laurentius den Märyrertod durch das Feuer starb, gelang es ihm, die Schale nach Huesca in seiner iberischen Heimat zu bringen. Von dort gelangte sie später durch den Bischof in das Höhlenkloster San Juan de la Peña. Die Zahl der Pilger, die nach San Juan kamen, um den Abendmahlskelch zu sehen, ihn zu berühren und seine Wundertätigkeit zu erproben, mehrtesich von Jahr zu Jahr. Ich gewann immer mehr den Eindruck, als sei der Kelch zu einer hohlen Reliquie verkommen, die das Geld in der Kasse des Klosters klingeln ließ.«
»Deshalb also der Hinweis auf das Kloster San Juan de la Peña«, murmelte Froben geistesabwesend. »Und was ist mit dem Kloster Montserrat? Mit dem Grab des heiligen Apostels Jakobus in Santiago?«
»An beiden, nein, an allen drei Wallfahrtsstätten soll sich der Heilige Gral befunden haben«, sagte der Alte bedächtig.
Teresa hatte einen Atemzug lang das Gefühl, neben sich selbst zu treten. Sie sah Matthias vor sich, wie er ihr winkte und zulächelte. Etwas fasste wie eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen. Der Sturm, der draußen gewütet hatte, kam zum Stillstand. Etwas Bedrohliches stand im Raum. Teresa hatte Mühe zu atmen. Vom einzigen Fenster der Hütte her kam ein klackendes Geräusch. Der Eremit stöhnte auf und griff sich an die Brust. Dort steckte ein Pfeil. Erstaunt sah sich der Alte um, faltete die Hände, sah an die Decke und sackte langsam in sich zusammen. Aus der Wunde in der Brust tropfte Blut.
18.
Der Sturm begann erneut zu wüten, rüttelte an den Fensterläden, heulte und pfiff. Regen prasselte auf das Dach der Eremitage. Teresa stand wie erstarrt. Sie hörte ein metallisches Geräusch. Froben hatte sein Schwert aus der Scheide gezogen.
»Bleib bei ihm!«, rief er Teresa zu, packte Markus am Arm und eilte hinaus in den Regen. Teresa hockte sich neben den alten Mann. Er blickte sie mit geröteten Augen an.
»Sie sind gekommen«, murmelte er.
Teresa schnitt es ins Herz. Sie beugte sich näher zu ihm hinunter.
»Wer ist gekommen? Wer sind sie?«
»Die Jäger der …« Mehr konnte Teresa nicht verstehen.
»Die Jäger der …«, versuchte sie ihm zu helfen.
»Mo …«
»Jäger der Mo …?«
»Montaña.«
Der Kopf des Mannes sackte
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