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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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vor großem Schaden bewahren!«, brüllte ihr Vater. »Und da sprichst du von Habgier?«
    »Ich möchte euch beide vor Schaden bewahren, Schaden in euren Seelen. Passt auf, dass eure Mission nicht in Besessenheit ausartet!«
    »Keine Angst, wir wissen genau, was wir tun«, besänftigte Teresa ihn. »Wir bringen den Kandelaber auf seinen angestammten Platz zurück, sonst nichts. Und dann soll Gras darüber wachsen.«
    »Was geschehen ist, ist geschehen, Teresa, du kannst die Uhr nicht zurückdrehen. Aber sei’s drum. Lasst uns gehen.« Markus packte den toten Eremiten, legte ihn über den Nacken seines Pferdes und schwang sich auf.
    Bedrückt stieg Teresa auf ihr Pferd und folgte ihm. Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Vater in einiger Entfernung nachkommen. Der Weg war fast unpassierbar geworden, und so brauchten sie lange, bis sie das nächste Dorf erreichten. Sie übergaben den Leichnam des Eremiten an den Maire, den Bürgermeister, der ihnen umständlich dankte, nachdem Froben ihm die Geschichte seines Todes erzählt hatte.
    Für die Strecke bis Avignon benötigten sie nochmals einige Stunden. Wind und Regen hatten inzwischen nachgelassen. Vor der Stadtmauer war ein Friedhof angelegt, dessen Stelen und Totenhäuser mit Chrysanthemen und Buchs verziert waren. Die Glocke der Kathedrale läutete lang und anhaltend. Scharen von Menschen mit kleinen, rot leuchtenden Lampen waren unterwegs zum Friedhof, beteten und sangen. Heute ist Allerseelen, ging es Teresa durch den Kopf.
    »Morgen ist Allerseelen«, sagte Markus, als habe er ihre Gedanken erraten. »Wir sollten wieder einmal in die Kirche gehen und der Verstorbenen gedenken.«
    In der kleinen Friedhofskirche nahmen sie am Gottesdienst teil. Teresa gedachte ihrer Mutter, des alten Wilhelm, der beiden Hakenschützen, des Abtes und schließlich des Eremiten, der versucht hatte, sie auf eine Spur zu bringen. Warum war er getötet worden? Warum war sie bisher allen Anschlägen entgangen? Was hatte Markus gesagt? Sie schaute verstohlen zu ihm hinüber. Sein Gesichtwar unbeweglich auf den Priester gerichtet. Sie und Froben seien im Begriff, besessen zu werden? Aber mussten sie nicht einen unbändigen Willen entwickeln, den Kandelaber in ihren Besitz zu bringen? Waren nicht auch die Märtyrer eines gewaltsamen Todes gestorben, einer höheren Sache wegen? Es war, als drücke eine unsichtbare Klammer ihren Schädel zusammen. Wir müssen es tun, entschied sie bei sich, es gibt keine andere Möglichkeit.
    Am nächsten Tag machten sie sich auf den Weg zur Kathedrale von Avignon. Viele Menschen hatten Büßergewänder angetan, trugen Öllampen und Kreuze vor sich her und beteten und sangen laut auf der Straße. Die Kathedrale Notre Dame des Doms stand hinter dem Papstpalast. Durch das hohe Eingangsportal betraten sie die Vorhalle der Kirche, die mit Säulen und Kapitellen geschmückt war. In dem großen, einschiffigen Raum hatten sich viele Gläubige versammelt, die leise miteinander redeten. Es roch nach Schweiß und anderen Ausdünstungen. Die Stimmen der Menschen erfüllten das Schiff wie mit Bienengesumm. Teresa, Froben und Markus nahmen auf einer der hintersten Bänke Platz. Teresa kannte die Gottesdienstordnungen, so konnte sie mühelos die Lieder mitsingen, dem Vaterunser und den Rosenkranzgebeten lauschen. Ein Geruch nach Weihrauch umfing sie. Die Predigt des schwarzgekleideten Priesters übersetzte Markus ihr flüsternd. Seine Nähe verwirrte sie. Es war ein warmes, heimatliches Gefühl, irgendwie erregend, und doch … sie dachte an das, was er tags zuvor gesagt hatte. Er wollte sie davon abhalten, den Kandelaber zu finden! Halb widerwillig, halb ergeben hörte sie den Singsang des Priesters und die geflüsterten Übersetzungen von Markus an.
    »Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Beschwerden, der ew’gen Heimat zu.«
    Teresa dachte nach. Dass wir in die Fremde verschlagen werden, kann die unterschiedlichsten Gründe haben. Die Menschen allerdings, die nicht freiwillig ihre Heimat verlassen haben, sehnen sich nach ihrem Zuhause. Heimat ist dort, wo jemand ist, an dem unserHerz hängt. Wo war ihre Heimat? Im fernen Tal der Donau? Dort, wo sie hinpilgerte? Ja, sie war auf der Wanderschaft, und sie wollte und musste ihr Ziel erreichen.
    »So gibt es viele Reisende in dieser Welt, aber nur wenige, die wissen, wohin sie gehen wollen. Möglicherweise haben sie ihr Ziel aus den Augen verloren; sie haben sich an das Unterwegssein gewöhnt und

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