Die Pilgerin von Montserrat
sie.
»Wenn ich gewusst hätte, in welcher Gefahr du schwebst, wäre ich nicht durch eine Seitentür hinausgegangen. Ich dachte, du hättest mal wieder eine deiner Visionen.« Er schlug sich an die Stirn. »Ich hirnverbrannter Esel! Die Mörder des Eremiten waren wirklich da. Von jetzt an darfst du nicht mehr von meiner Seite weichen.«
Der, von dessen Seite ich nicht mehr weichen wollte, ist gegangen, dachte Teresa. Jetzt weiß ich, dass ich ihn liebe.
Froben gab ihr ein Tuch, in das sie sich schnäuzen konnte. Teresa nahm die vielen Menschen nur verschwommen wahr, hörte ihre Stimmen wie das Summen von Fliegen. Es drängte sie, aus dieser Stadt zu verschwinden. Sie nahm Frobens Hand und zog ihn in Richtung Herberge. Die Rue de la Monnaie . War das auch ein Zeichen? Wollten die Unbekannten den Kandelaber an sich bringen, um zu Reichtum zu gelangen? Hör auf damit, sagte sie sich, du wirst noch ganz durcheinander im Kopf. Vielleicht ist Markus noch da, und ich kann ihn dazu bewegen, mit uns zu kommen.
Sie betraten die Herberge, ein niedriges, schmuckloses Haus in einer Seitengasse. Der Herbergsvater schüttelte den Kopf, als Teresa nach dem jungen Mönch fragte.
»Il a abondonné la cité«, meinte er achselzuckend.
Die beiden packten ihre Sachen zusammen, luden sie auf ihre Pferde und ritten los nach Südwesten, immer dem Weg nach Santiago folgend.
Wenn wir Glück haben, holen wir Markus ein, dachte sich Teresa.
Der Weg durch das Rhônetal erschien Teresa ungeheuer weit. Zunächst ritten sie auf dem alten Pilgerweg nach Arles. Er wurde rechts und links begrenzt durch die gezackten Spitzen der Montagnettes und der Chains des Alpilles. Teresa nahm ihre Umgebung kaum wahr, so sehr war sie in Gedanken versunken. Auch Froben sprach wenig während der Reise, wirkte mürrisch und in sich gekehrt. Am Himmel zeigten sich blendend weiße, linsenförmige Wolken. Das Licht blendete Teresa. Sicher war da wieder ein Mistral im Anzug, der von den Bergen aus dem Nordwesten heranwehte.
Die Stadt Arles umrundeten sie weitläufig, weil trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit eine schwüle Hitze herrschte. Einzelne Blitze zuckten über den Mauern und Türmen der Stadt auf, aber es kam zu keiner Entladung. Der Wind in ihrem Rücken wurde stärker. Wolken schoben sich vor die Sonne und verdüsterten den breiten Strom, der eben noch blau und glitzernd dem Mittelmeer zugeflossen war, verdunkelten Weinberge, die steilen Hänge und die Terrassen, die mit runden Steinen bedeckt waren.
Teresas Gedanken umkreisten ständig dasselbe: War es richtig, weiter nach dem Kandelaber zu suchen? Hatte Markus recht, der meinte, der Weg führe ins Verderben, lasse am Ende nur Tod und Verzweiflung zurück?
Nach Arles durchquerten sie das Rhônetal in seiner ganzen Breite und hielten auf Nimes zu, von dort auf Montpellier. Teresa fühlte sich zu Tode erschöpft, nicht nur von dem weiten Ritt und dem Wind, der ständig an ihrem Mantel zerrte, sondern auch von der Reise überhaupt. Schweigend verzehrten sie das Abendbrot undbegaben sich früh zu Bett. Teresa hatte eine Grenze überschritten. Sie beschloss, am nächsten Tag mit Froben darüber zu sprechen.
Die Stadt Montpellier erstreckte sich zwischen der antiken Via Domitia, dem Pilgerweg nach Santiago, und dem Fluss Lez, etwa zwei Meilen vom Meer entfernt. Hoch über den alten Dächern thronte eine Burg. Der Sturm hatte sich gelegt, also hatten sie Glück gehabt mit dem Mistral. Vor der Kathedrale St. Pierre mit ihrem mächtigen Portal sammelten Pilger Almosen. Auf ihrem Weg durch die Stadt kamen sie auch an hebräischen Badehäusern vorüber, ganz aus gelblichem Sandstein erbaut, schön verziert mit Kapitellen und Rundbögen.
Teresa beschloss, das Schweigen, das zwischen ihrem Vater und ihr stand, zu brechen. »Wie kommt es, dass hier Menschen verschiedener Religionen friedlich miteinander in einer Stadt leben können?«, fragte sie. »Und anderswo bekämpfen sie sich bis auf den Tod.«
Froben schaute sie an. Sein Gesicht erhellte sich. Offensichtlich hatte sie ein Thema getroffen, über das er gerne sprach.
»Ich kann es dir am Beispiel Spaniens erläutern, wie so etwas geht«, sagte er. »Auf der iberischen Halbinsel herrschten mehrere Jahrhunderte lang die Mauren. Im Jahr 750, nach einem Bürgerkrieg, zerbrach das maurische Reich in verschiedene islamische Lehen. Von Norden her breiteten die christlichen Reiche allmählich ihre Herrschaft aus, und im Lauf der folgenden Jahrhunderte wurden
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