Die Pilgerin von Montserrat
stand.
»Das mit dem Bibliotheksgehilfen hättest du nicht zu sagen brauchen«, fuhr Teresa ihren Vater an. »Schließlich bin ich auch eine Art Gehilfin für dich.«
»Er war dabei, mir einen Traum zu zerstören«, murrte Froben. »Einen Traum, der auch deiner ist, nehme ich an.«
»Ja, es ist auch mein Traum. Und deshalb werde ich dir folgen, wohin immer du auch gehst.«
Teresa schaute zur steinernen Fassade des Papstpalastes hin. Sie hatte sich entschieden. Dieser Palais des Papes stand vor ihr wie eine zinnenbewehrte Trutzburg. Teresa nahm eine Bewegung am Portal des Palastes wahr und schaute genauer hin. Ein etwa neunjähriger, blonder Junge verließ mit seiner Mutter das Gebäude. Der Anblick fuhr Teresa bis ins Mark.
19.
Der Junge schüttelte fast unmerklich den Kopf. Was hatte das zu bedeuten? Er wollte ihr sicher ein Zeichen geben, dass es nicht schlimm sei, wenn Markus seiner eigenen Wege gegangen war.
»Ich möchte mir den Palast ansehen«, sagte Teresa zu ihrem Vater.
»Aber nicht allein«, meinte Froben, »das lasse ich nicht zu, nicht unter den Umständen.«
»Also gut, dann komm halt mit.«
Was bedeutete dieser blonde Junge, der immer nur einige Momente lang auftauchte und wieder verschwand? War er eine Art Schutzgeist, der immer dann in Erscheinung trat, wenn eine Gefahr drohte? Was für eine Gefahr sollte von dem Palast ausgehen? Teresa kniff sich in die Wange. Das träumte sie doch nur, das konnte keine Wirklichkeit sein! Sie näherte sich zusammen mit Froben dem Portal. Der Junge und seine Mutter waren verschwunden. Gewiss waren sie gar nicht da gewesen. Sie durchschritten die Porte des Champaux, die von zwei kleinen Türmen flankiert wurde, und gelangten in den Innenhof des Neuen Palastes. Der Hof war im Stil eines Kreuzganges angelegt. Hinter dem Konsistorium, einem langgestreckten Saal, stand die Kapelle St. Jean, deren Fresken ellenhoch über dem Boden abgetragen waren.
»Die haben die Soldaten stückweise weggeschlagen«, sagte Froben, »um sie an Durchreisende zu verkaufen.«
»Woher weißt du das?«, fragte Teresa.
»Ich habe mich ausführlich mit der Geschichte des Papsttums beschäftigt. Vertraue dich ruhig meiner Führung an.«
Über eine breite Treppe kamen sie zum Speisesaal, dem größten Raum des Palastes. Teresa fand es bemerkenswert, dass damals demEssen eine solche Bedeutung zugemessen wurde. Und hatte nicht Petrarca geschrieben, der Palast sei das größte Freudenhaus der Stadt gewesen? Wie hatte er gegen das Treiben der Päpste gewettert! Neben dem Speisesaal befand sich die Küche, deren Wände sich wie bei einer Pyramide nach oben verjüngten – der Rauchfang eines Herdes, der umfangreiche Ausmaße gehabt haben musste. Jetzt waren die Räume großenteils leer und wurden kaum noch genutzt, wie Froben zu berichten wusste. Vor dem inneren Auge von Teresa erstand ein Saal, in dem Kerzenkandelaber von der Decke hingen, und die langen Tische, vollbesetzt mit Männern und Frauen in Schwarz und Bunt, bogen sich unter der Last der Speisen. Es roch nach gebratenen Drosseln und Rebhühnern. Auf dem Beistelltisch neben der Tafel des Papstes stand eine Burg aus Zucker, mit Zinnen und Türmen. Kalbsköpfe, Zicklein, Würste, ein Pfau, der ein Rad schlug, gekochte, vollständig vergoldete, mit Ei überzogene Ferkel, verschiedene Arten von Braten, Wildgänse, Kapaune und Kitze. Anschließend Torten mit Mandeln, Quark und Kekse, Süßes aus Milch und Gelee, Birnen, Teigwaren, Bonbons, Marzipan und mit kostbaren Weinen gewürztes Konfekt.
Sie gingen ein paar Stufen hinunter in die Paramentenkammer, wo der Papst früher zur Privataudienz empfangen hatte. Im Engelsturm stießen sie auf die Privatgemächer des Heiligen Vaters. Froben erzählte über die Zeit, als die Päpste in Avignon im Exil gelebt hatten.
»Die Päpste in Avignon hingen dem Nepotismus an, zu deutsch der ›Vetterleswirtschaft‹. Dieser Palast wurde unter Clemens VI. prachtvoll ausgebaut, die Hofhaltung war sehr aufwendig. Mit dem Kaiser kam es immer wieder zu Streitigkeiten, Ludwig der Bayer zum Beispiel erklärte Papst Johannes XXII. sogar für abgesetzt. Kaiser Karl V. schließlich bot Urban V. an, unter seinem Schutz nach Rom zurückzukehren. Wie du weißt, rief der Verfall der Sitten, wozu auch eine umfangreiche Pfründenvergabe gehörte, Kritiker wie Francesco Petrarca auf den Plan. Benedikt XIII. war der letzte Papst in Avignon.«
Diese Geschichten wollte Teresa gar nicht hören. Sie wollte wissen, warum
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