Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ich so böse Wünsche hatte und nicht dankbar war.
Dann starb Abt Eckbart. Wir haben ihn alle sehr beweint.«
»Nicht im Ernst.«
»Das ist so eine Floskel. Und dann durften wir Mönche den neuen Abt wählen. Bruder Johannes genoss ein sehr hohes Ansehen, weil er wegen der Heilung eines Leprakranken fast wie ein Heiliger verehrt wird.«
»Warst du dabei?«
»Ja.«
»Dann ist es wahr?«
»Ja. Er hat zum Kreuz geblickt, Jesus Christus um seine Gegenwart und Hilfe angefleht und gebetet, in seinem Namen heilen zu dürfen und zu können. Dann hat er den Sud aus Blut und Eiter getrunken.«
Es war ganz still zwischen den beiden jungen Menschen. Beide stellten sich das Bild vor, die Kirche mit den bunten Malereien biblischer Szenen, den Mönch Johannes, die Versammlung der Brüder, den Leprakranken, die Heilung.
Markus räusperte sich.
»Seitdem kommen die Kranken natürlich in Scharen zum Kloster. Besonders Adelige wollen auf dem Friedhof für Laien bestattet werden. Es werden Totenmessen gelesen – und bezahlt.«
Markus lachte.
»Natürlich hat er auch Feinde, besonders den Prior Philipp, den Cousin von Bernhard. Von der Geschichte damals in der Badestube hast du wahrscheinlich nichts gehört.«
»Wovon?«
»Auch egal. Für mich änderte sich das Leben im Kloster, seitdem Johannes Abt ist. Ich kam weg von der Schreibstube, endlich auch in den Reitstall. Ich durfte raus. Martin, kannst du dir vorstellen, welche Glückseligkeit nach so vielen Jahren des Eingeschlossenseins das für mich bedeutete, das erste Mal die Klostermauern verlassen zu dürfen?
Luft, Felder, Wälder. So ging es nicht nur mir. Abt Johannes beobachtet uns Mönche. Wie es in der Ordensregel des Heiligen Benedikt steht, teilt er uns nach unseren Vorlieben und Fähigkeiten ein. Er ist nämlich der Auffassung, dass alle Menschen Gnadengaben haben und Gott will, dass sie die auch entwickeln und leben dürfen. Jedenfalls stelle ich mir vor, dass er so denkt.
Nur eins wundert mich, ich habe häufig darüber nachgedacht. Ich bin zu der Ansicht gekommen, er hat selbst keine Wünsche, keine Bedürfnisse, keine Vorlieben. Jeder im Kloster hat welche, und sei es ein weiches Kopfkissen. Jeder hat unter den Brüdern Freunde. Abt Johannes behandelt alle gleich. Auch seine Feinde, ich möchte mal den Prior so nennen.
Weißt du, Martin, jeder Mensch, so meine ich, möchte etwas in der Welt, Ruhm oder Geld oder Liebe oder Macht oder auch Demut und Glauben, was weiß ich. Er ist der einzige Mensch, von dem ich annehme, dass er nichts will. Wir Mönche sollen der Welt vollkommen entsagen. Aber keiner will es, keinem gelingt es. Ich habe den Eindruck, dass Abt Johannes mit seinem Leben abgeschlossen hat, dass er mit seinem Eintritt ins Kloster die Welt ganz hinter sich gelassen hat. Er liebt niemanden, auch sich selbst nicht. Manchmal denke ich, dass er überhaupt nichts für sich will, nicht einmal seine paradiesische Glückseligkeit.«
Martin hatte mit brennendem Herzen zugehört. Markus hatte mehr erzählt, als Martin zu hoffen gewagt hatte. Er war sehr bewegt.
Markus betrachtete ihn kritisch.
»Übrigens scheinst du gerne gepflegt zu werden, erst im Winter vom Abt persönlich, nun von meiner Wenigkeit.«
»Halt den Mund!«, rief Martin und versetzte dem Freund einen heftigen Knuff in die Rippen.
»Ist schon gut. Na los, steh endlich auf und geh zu Fulcher de Chartres.«
Martin schnitt seinen Gänsekiel an, tauchte ihn in das Tintenfass und schrieb für Fulcher de Chartres:
›Nikäa, im Namen des Herrn am 19. Juni 1097
Über Nikäa wehen byzantinische Fahnen!
Als wir heute Morgen aus unseren Zelten traten, waren auf allen Türmen, auf der gewaltigen Befestigungsmauer Nikäas byzantinische Flaggen gehisst.
Jetzt ist es herausgekommen. Der byzantinische Admiral Butumites ist so zwielichtig, wie er aussieht. Während wir die Stadt unter großen Verlusten belagert und für Byzanz den Sultan Kilidj Arslan besiegt haben, nahm er heimlich im Auftrag Kaiser Alexios’ Verbindung mit der türkischen Garnison auf. Kampflos wurde heute Nikäa an Byzanz übergeben. Die Sultanin mit ihren Kindern ist mit großen Ehren aus ihrem Palast herausgeführt worden, damit sie im Kaiserpalast in Konstantinopel von ihrem Gatten Nachricht erhält, wo er wünsche, dass die feierliche Übergabe erfolgen solle. Er müsse kein Lösegeld bezahlen. Der Hofstaat des Sultans wird unter sicherem Geleit ebenfalls nach Konstantinopel gebracht. Die Hofbeamten und Diener können
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