Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
das Lager. Sie metzelten uns von ihren schnellen Pferden herab ab. Jeden machten sie mit dem Schwert nieder, der schwach war: schwangere Frauen, Priester, Mönche, Alte, Kinder, sogar Säuglinge.
Nur uns Jungfrauen und Jungen zwischen neun und zwölf Jahren nahmen sie gefangen. Und von den Jungfrauen auch nur die, die sie schön fanden.«
Eva wurde verlegen. »Ich will und darf mich nicht rühmen.«
Alice blickte ihr ins Gesicht. Eva war tatsächlich außergewöhnlich schön.
»Dort«, sagte Eva und wies auf die dreischiffige Basilika an einer Kreuzung, »dort, in der Hagia Sophia, haben uns die Männer vergewaltigt. Die Jungen aber haben sie an den Taufsteinen beschnitten. Wer sich weigerte, wurde getötet.«
Alice nahm die junge Frau in die Arme, die nun weinte und stammelte:
»Ich bin Nonne. Ich habe die ewigen Gelübde abgelegt.« Sie fasste sich wieder:
»Am nächsten Morgen haben die türkischen Soldaten uns zum Sklavenmarkt gebracht und da sind wir verkauft worden.«
Vor dem Sklavenmarkt hatte Alice Angst. Schon als kleines Mädchen hatte der Vater ihr oftmals die furchterregenden Geschichten erzählt von Pilgerinnen und Pilgern, die auf der Reise nach Jerusalem, nach Zypern oder Rom von Piraten gefangen genommen und auf den Sklavenmärkten Alexandrias, Damaskus’ oder Askalons verkauft worden waren. Sie ging diesen Gedanken nach, als Eva plötzlich entschieden erklärte:
»Ich muss wieder Jungfrau werden.«
Alice wusste nicht, wie das zugehen könnte.
»Es ist furchtbar, vergewaltigt zu werden«, sagte Eva leise.
Alice konnte sich das vorstellen.
Sie hing noch diesen Gedanken nach, da blieb die Frau beim dunklen, gewaltigen römischen Triumphbogen stehen, zeigte drohend auf die mächtige Befestigungsmauer und sagte mit anklagender Stimme:
»Wie konntet ihr uns das antun?«
»Was?«, fragte Alice.
»Die Köpfe der im Kampf gefallenen türkischen Krieger über die Mauer zu schießen.«
Abrupt hielt sie inne, biss sich auf die Lippen.
»Was sagst du da?« Auch Alice blieb stehen und fasste die Frau fest am Arm.
»Das haben wir gemacht, um euch aus der Sklaverei zu befreien.«
Voller Argwohn blickte Alice die Frau an. »Bist du überhaupt eine Nonne? Lügst du mir etwas vor? Bist du eine Spionin?«
»Nein, nein, ich bin Christin«, beteuerte die Fremde. Sie wollte wieder anfangen zu weinen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.
»Ich bin wirklich eine Nonne aus Trier. Gibt es vielleicht jemanden im Heer Herzog Gottfrieds, der das bezeugen könnte?«
Alice überlegte. »Graf Heinrich von Burg Ascha könnte dich kennen.«
Im Heer Herzog Gottfrieds erregte das Erscheinen Evas die Neugierde der Pilger, die aus den Zelten hervorlugten, die ihre Arbeit beim Schlachten und Zubereiten der Lämmer und Schafe unterbrachen, die den Brotteig liegen und die Pferde, die sie gerade versorgten, stehen ließen, um dieses Ereignis nicht zu verpassen: eine prachtvoll gekleidete Türkin, eine auf dem Sklavenmarkt von Nikäa verkaufte Frau, die in Wirklichkeit eine Nonne aus Trier war.
Alice bahnte der Nonne einen Weg durch die Menge der verblüfften Zuschauer und führte Eva zu Graf Heinrich von Ascha, der, umgeben von anderen Rittern, die Fremde erwartete.
Sofort, ohne zu zögern und ohne sich zu bedanken, lief die Frau auf den Grafen zu und fiel vor ihm auf die Knie. Mit tränenerstickter und demütiger Stimme flehte sie ihn an, er möge ihr zu ihrer Reinigung und Rechtfertigung verhelfen.
Heinrich von Ascha strich sich bedächtig über seinen grauen Vollbart, während er der Nonne aufmerksam zuhörte. Er war tief bewegt von ihrem Unglück und erbot sich, die Ärmste zu Herzog Gottfried zu führen, wo er es durchsetzen wollte, dass Adhémar, der hochwürdige Bischof und Legat des Papstes, ihr die Beichte abnehme.
Derweil wartete Alice im Zelt auf die Rückkehr der Nonne.Theresa hatte sich einen Augenblick zu ihr gesetzt, ließ sich kurz das Schicksal der unglücklichen Frau erzählen und verschwand dann wieder zu ihren Verwundeten und Kranken, die nach wie vor ihrer Hilfe bedurften.
Die Unterredung und Beichte beim Legaten des Papstes zog sich in die Länge und Alice begann schon auf ihrem weichen Kopfkissen dahinzudämmern, als Eva in Ordenstracht erhobenen Hauptes zurück ins Zelt trat, sich zu Alice auf das Bettlager setzte und strahlend erklärte:
»Ich bin wieder Jungfrau.«
Alice setzte sich verdutzt auf.
»Wie das?«
»Bischof Adhémar hat mir die Beichte abgenommen und mich von
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