Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ihre bewegliche Habe mitnehmen. Ihnen ist es gestattet, sich und ihre Frauen und Kinder freizukaufen. Man ist sehr vornehm und höflich hier im Orient.
Wir alle, die wir für Kaiser Alexios den Kopf hingehalten und viele Tote zu betrauern haben, sind empört. Nur mit Mühe haben es unsere Heerführer durchsetzen können, dass einige von uns zu dritt oder zu viert Nikäa betreten dürfen. Natürlich sind die ganz Armen, die plündern wollten, von vornherein davon ausgeschlossen.
Die Wut kocht bei uns. Dagegen helfen auch die grandiosen Geschenke nichts, die Alexios den Großen unseres Heeres in Pelekanon überreichen wird, und auch nicht die gute Verpflegung für das Fußvolk.‹
Martin verharrte vor seinem Stück Pergament, steckte seinen Federkiel in das Glas, blies die Kerze aus und ging ins Lager hinaus.
*
Alice stand vor dem Römischen Theater in Nikäa am Rande einer Menge gaffender Menschen. Staunend und neugierig schaute sie zu, wie unter lautem Gejohle und Geschrei der einheimischen christlichen Bevölkerung der Hofstaat des Sultans und seine fürstlichen Berater, Beamten und Offiziere von byzantinischen Soldaten in die Gefangenschaft geführt wurden. In einigem Abstand folgten die Frauen, alle tief verschleiert und fremd in ihren bunten, kostbaren Gewändern anzusehen. Die kleineren Kinder trugen sie auf dem Arm oder hielten sie an der Hand. Die größeren liefen bedrückt und schweigend nebenher.
Alice aber hatte sich aus Erleichterung und Freude, dass der für den Tag geplante Sturmangriff nicht erfolgt war, es keine Toten mehr bei der Belagerung gab und sie nicht um das Leben Bernhards bangen musste, einen bunten Blumenkranz aufs blonde Haupt gesetzt, was sie jetzt bereute, da so viel zur Schau gestellte Haarpracht die Blicke der Männer anzog und missgünstige Bemerkungen anderer Frauen hervorrief. Dergleichen war man im Orient nicht gewohnt.
Alice wollte den Haarschmuck gerade abnehmen, als sich aus dem Zug der Frauen und Kinder eine Türkin löste, vor Alice auf die Knie stürzte, ihre Hand ergriff und hastig hervorstieß:
»Rettet mich! Ich bin Schwester Eva, Nonne vom Kloster St. Maria zum Speicher von der Kirche zu Trier. Versteht Ihr mich?«
»Ja «, antwortete Alice verwirrt. Sie wusste nicht, was sie von der Frau halten sollte, die nun aufstand, den Schleier zurücknahm und sich auf römisch-katholische Weise bekreuzigte. Dabei blickte sie jedoch nicht Alice an, sondern sah den türkischen Gefangenen nach, die jetzt die Straße zum Hafen hinabgetrieben wurden und kaum noch zu erkennen waren. Alice beobachtete, wie einer der Männer stehen blieb, sich umdrehte und dann von einem byzantinischen Soldaten weitergedrängt wurde.
Augenblicklich wandte sich die Frau wieder Alice zu:
»Rettet mich!«, rief sie und hob flehend die Hände, wobei goldene, mit Edelsteinen besetzte Armreifen hervorblitzten.
»Warum seid Ihr nicht bei den Christinnen, die heute von den Byzantinern aus türkischer Gefangenschaft befreit wurden? Warum lauft Ihr bei den türkischen Frauen mit?«, fragte Alice misstrauisch. Die Frau blieb Alice die Antwort schuldig. Denn jetzt hatten nicht nur die Schaulustigen, sondern auch die byzantinischen Soldaten den Zwischenfall bemerkt und waren dicht an die Frauen herangetreten. Eva zeigte auf sich, wiederholte eindringlich das Wort ›Christin‹ und machte dabei das Zeichen des Kreuzes. Die Wachen sahen sie verdutzt an, besprachen sich eine Weile miteinander, nickten der Frau zu und ließen sie gehen.
Nach kurzer Überlegung sagte Alice:
»Ich bringe Euch zum Heer des Herzogs Gottfried von Bouillon.«
Die Fremde nickte hastig und sagte leise:
»Das ist gut. Es wird alles gut. Gelobt sei Jesus Christus.«
Während die beiden Frauen durch die Straßen Nikäas an Palästen, zahllosen Kirchen, Häusern mit Fenstern aus Glas und ungezählten Brunnen vorbeigingen, erzählte Schwester Eva unter Schluchzen, sie sei mit Peter dem Einsiedler und seinem Pilgerheer ins Land gekommen. Am Tag des Überfalls seien die Frauen und Kinder, Kranken, Priester, Mönche und Nonnen allein, ohne Schutz der Ritter und Fußsoldaten, im Lager gewesen. Sie, Eva, habe ein unheimliches Gefühl, eine böse Ahnung gehabt, habe bedrückt und voller Sorge etwas Schreckliches vorausgesehen.
Eva stockte, sie weinte. Endlich holte sie aus ihrem Gewand ein seidenes, mit Goldfäden durchwirktes Schnupftuch hervor, Alice hatte so etwas Feines noch nie besessen.
»Gegen Nachmittag stürmten die Türken
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