Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
da liegt die Sünde. Meine Mutter ist letztlich an ihrer Schuld zugrunde gegangen. Sie war eine weise Frau, sie war Tag und Nacht bereit, sommers wie winters, um sich auf den Weg zu machen und den Frauen bei der Geburt zu helfen. Aber sie tat eben auch anderes, du verstehst schon.«
Theresa hatte sich auf ihr Lager gesetzt. Vorsichtig legte Martin seinen Arm um ihre Schulter.
»Martin, es kamen häufig Frauen zu meiner Mutter. Deswegen. Ich glaube, es hieß in den Dörfern, meine Mutter kenne die richtige Zubereitung des Mutterkorns. Ein wenig irre Träume und das Kind ist weg. Schließlich zeugen ja nicht nur adelige Männer Kinder, bei denen aus dynastischen Gründen ein Bastard erwünscht ist. Auch der fünfte Sohn eines Ritters, der selbst gar keine Möglichkeit hat zu heiraten, weil er eine Familie nicht standesgemäß erhalten könnte, hat Bedürfnisse und greift sich eine Dienstmagd. Oder der freie Bauer, der Graf selbst, oder ein Mönch oder ein Priester, der ein junges Ding betört. Häufig sind die Mädchen nicht älter als 13, 14 Jahre alt. Es kamen auch oft verheiratete Frauen, die nicht wussten, wie sie ein weiteres Kind ernähren sollten.
Meine Mutter zeigte Erbarmen. Denk doch, selbst für Alice ist es eine Schande. Bernhard will einen Sohn, und zwar ausschließlich einen Sohn. Was ist, wenn es ein Mädchen wird? Sie ist allerdings felsenfest überzeugt, dass sie ihm einen Sohn schenkt.
Weißt du, was Alice sich von der Geburt eines Sohnes erhofft? Dass Graf Otto, Bernhards Vater, sie grüßt. Es demütigt sie, dass Graf Otto sie behandelt, als gäbe es sie nicht. Er geht an ihr vorbei, als wäre sie nicht da, obwohl er doch genau weiß, dass sie die Geliebte seines Sohnes ist.«
»Es wundert mich trotzdem immer noch, dass Alice so bereitwillig dieses Los auf sich nimmt«, sagte Martin nachdenklich, mehr zu sich selbst als zu Theresa.
»Vielleicht verfolgt sie eigene Ziele. Ich weiß es nicht. Jedenfalls, meine Mutter hat Gewissensqualen ausgestanden. Natürlich wollte sie den jungen Frauen zur Seite stehen und andererseits haben die toten Kinder sie verfolgt.«
Martin sah, dass Theresa tatsächlich Tränen in den Augen standen.
»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Es war so schwer, sie zu ehren, nachdem ich wusste, was sie tat. Nun will ich nach Jerusalem pilgern, weil ich weiß, wie sehr meine Mutter ihre Sünden bereut hat. Auf ihrem Krankenlager hat sie nur noch gebetet. Als es tatsächlich ans Sterben ging, hat sie darauf bestanden, in die Kirche getragen zu werden, um dort zu beichten, Buße zu tun und die Letzte Ölung zu erhalten und in der Kirche zu sterben. Sie hat sich geradezu begierig an die Sterbesakramente geklammert. Sie hatte so eine Angst vor den Qualen, die sie nach dem Tod erwarten.«
»Ich glaube, sie hätte sich nicht so fürchten müssen. Nein, widersprich mir nicht gleich. Als ich das Kreuz nahm, habe ich wie so viele gedacht, ich müsste eine Schuld abtragen, sonderbarerweise ebenfalls die meiner Mutter. Welch eine Sünde sie begangen haben sollte, das habe ich nie erfahren. Da tappe ich noch immer im Dunkeln. Dass sie aber der Vergebung ihrer Sünden bedürftig war, dessen bin ich mir sicher. Nur denke ich nicht mehr, dass es von mir abhängt, wie es ihr nach dem Tode ergeht. Denn Christus ist für unsere Sünden gestorben. Wenn wir das ernst nehmen und dran glauben, dann haben wir weniger Sorge um unsere Seele und um die Seelen unserer verstorbenen Verwandten.«
»Der Papst lehrt anderes. Schließlich befinden wir uns alle zur Vergebung unserer Sünden auf dieser Pilgerfahrt.«
»Sicher. Nur …«, Martin stockte.
Theresa sah ihn groß an. »Was denn ›nur‹?«
»Also. Es war Weihnacht genau vor einem Jahr, da lag ich mit Wundfieber im Kloster. Vor der Heiligen Messe am Abend kam der Abt zu mir und fragte mich, ob ich mich stark genug fühle, in die Kirche zu kommen. Er schickte mir einen Bruder, der mich stützte. Ich muss dir sagen, nie hatte ich ein schöneres Gewölbe einer Kirche gesehen. Es war, als würdest du in den Himmel blicken. Es war sogar warm in der Kirche, jedenfalls erschien es mir so. Vielleicht war es auch das Fieber. Aber ganz bestimmt habe ich mit Bewusstsein die Predigt gehört. Es war eine sonderbare Predigt. Der Abt sprach über den Vers aus dem Johannesevangelium:
›Niemand kommt zum Vater denn durch mich.‹
Seine Worte verweilten bei dem ›Niemand‹. Wer ist dieser Niemand? Kein Mensch, auch kein Priester, Mönch,
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