Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Einsiedler, den Anführer des Armenkreuzzuges, der tatsächlich, nein, das konnte nicht wahr sein, versucht hatte, zusammen mit Wilhelm dem Zimmermann zu fliehen. Es hieß, Bohemund habe in eigener Person die Flüchtenden verfolgt und eingeholt. Zur Strafe habe Wilhelm eine ganze Nacht in Bohemunds Zelt stehen müssen und sei anschließend von dem Heerführer scharf zurechtgewiesen worden. Nicht irgendwelche Liebesgeschichten, sondern Flucht, das war es, woran fast jeder der Pilger einmal dachte. Welchen Sinn sollte es haben, hier vor Antiochia zu verrecken? Jesus war mit diesen vielen Toten nicht geholfen. Besser wäre es, zu einem späteren Zeitpunkt sich wieder auf den Weg nach Jerusalem zu machen und jetzt in die Heimat zurückzukehren, auf welchen Wegen und unter welchen Gefahren auch immer.
Theresa beobachtete, wie Alice sich vor ihrem Bettlager hinkniete, ein Kreuz aus ihrem Beutel nahm. Sie hielt es in der Hand und betete lange wie versunken. Dann legte sie sich ins Bett und kauerte sich zusammen wie ein kleines Kind. Es war Theresa, als ob die Freundin mit den Zähnen bibberte.
Dann – Stille.
Schrecken. Aufschrecken!
Die Hörner ertönten, Herolde ritten durch das Lager. Verkündeten in mancherlei Sprachen, die Pilger Gottes möchten und sollten sich draußen versammeln. Schläfrig und verdutzt zwängten sich Hunderte und Tausende durch die Öffnungen ihrer Zelte und standen dann fröstelnd, die Arme eng um den Körper geschlungen, im Nieselregen.
Ein Blick in Richtung Antiochia verriet, auch die Türken drängten sich auf der Stadtmauer, gespannt, was es Neues bei den Christen gäbe. Es war jedenfalls kein Angriff, das stand fest, kein Kampf, weswegen alle so früh aus dem Schlaf gerissen wurden. Alice wie auch Theresa hatten eine Wolldecke um die Schultern geschlungen, die bis zum Boden reichte. Auch so war es noch kalt. Martin stand dicht hinter Theresa und fragte sich, ob dies zu dieser frühen Stunde nicht doch zu verräterisch sei.
»Da sind sie! Da sind sie!«, riefen Kinder und zeigten mit lang ausgestreckten Armen in die Richtung, aus der sich das Erwartete nähern sollte.
Eine Frau, ein Mönch, nackt, aneinandergefesselt, wurden durch das Lager getrieben. Wurden ausgepeitscht!
Zur Abschreckung der Pilger, zur Belustigung der Türken wurde ihre Sündhaftigkeit zur Schau gestellt. Martin hörte geradezu die Häme, mit der die Ungläubigen über die verderbten Christen lachten.
Ja, sie sei eine verheiratete Frau und er – Mönch! Beim Ehebruch ertappt, eben gerade.
»Das darf uns nicht passieren«, flüsterte Theresa Martin zu. »Unzucht heißt vieles, auch unsere Liebe.«
»Wir heiraten doch«, flüsterte Martin zurück. »Wir heiraten ganz schnell. Willst du?«
Theresa lächelte, sie lächelte, wie nur sie es vermochte.
»Anfang Februar, ich muss nur noch Herzog Gottfried fragen.«
Erschrocken blickte Theresa Martin an. »Meinst du, er gibt uns die Erlaubnis? Ich wüsste allerdings nicht, warum er sie verweigern sollte.« Sie seufzte. »Gottfried ist ja nicht so launisch wie Graf Raimond, aber … Natürlich wird er seine Zustimmung geben«, unterbrach sie ihre skeptischen Gedanken. »Gottfried mag mich. Außerdem, wir sind garantiert nicht verwandt und gehören ungefähr dem gleichen Stand an, jedenfalls solange du nicht als Sohn eines Fürsten legitimiert bist …«
Martin lachte.
»Ich spreche zuerst mit Bischof Adhémar. Wenn er seine Einwilligung gibt, kann Gottfried sie nicht mehr entziehen.«
»Worüber redet ihr denn?«, fragte Alice. »Ist es euch ganz gleichgültig, dass die beiden dort aneinandergefesselt sind und blutig geschlagen werden? Ich finde es schrecklich, wie sie gedemütigt und bestraft werden.«
Theresa und Martin sahen sich verdutzt an. Tatsächlich hatten sie das elende Paar ganz vergessen. Auch die Zurufe wie »Gotteslästerer!«, »Hure!«, »Teuflischer Mönch!« waren bisher nicht in ihr Bewusstsein gedrungen. Jetzt erst bemerkten Theresa und Martin die teils aufgebrachte, teils in gedrücktem Schweigen stehende Menge. Wie konnte es sein, dass, während sie glücklich waren, andere so sehr leiden mussten.
»Ich denke, wir können jetzt wieder ins Zelt gehen«, ließ sich Alice hören.
»Wir sagen Alice noch nichts«, flüsterte Theresa Martin zu. »Sie wird sonst nur traurig.«
Laut sagte sie: »Ich habe Hunger. Lasst uns was Richtiges essen. Zum Glück ist die von Bischof Adhémar angeordnete dreitägige Fastenzeit vorbei. Es ist lächerlich,
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