Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
auf, wie viele Brüder sich seit Langem nicht gewaschen hatten, sie stanken. Er wünschte sich raus aus diesen Klostermauern, in die die Welt hineingekrochen war so unerträglich, wie sie draußen herrschte.
Der Abt stimmte das Tedeum an – Dich, Gott, loben wir.
Nun also war sein Bruder Karl auch tot. Ein Bote hatte ihm in der Frühe Martins Brief gebracht, der kurz vor dessen Aufbruch aus Konstantinopel geschrieben worden war, und er hatte ihn wie üblich den Brüdern im Refektorium vorgelesen. Warum schrieb Martin nicht, woran Karl gestorben war? Warum gar nichts über die Umstände seines Todes? Der junge Mann gestand lediglich, und das hatte ihn sicher große Überwindung gekostet, dass Karl noch am Leben war, als er Pera erreichte. Als aber Martin sich wirklich zu Karl aufgemacht hatte, da war es zu spät. Der Abt seufzte innerlich, während er sang und unhörbar klagte.
Sein Bruder Karl war also gestorben, ohne erfahren zu haben, dass er am Tod seiner Frau unschuldig war oder zumindest nicht in dem Sinne schuldig, wie er selbst vermutet hatte. Und Alice? Was würde aus Alice? Obwohl verwaist, war sie nicht mit ihrer Freundin nach Passau zurückgekehrt und ins Kloster Niedernburg eingetreten. Hochachtung hatte er vor der jungen Frau. Alice war offenbar standhaft und mutig. Sie befand sich trotz allem auf dem Kreuzzug.
*
Ungesehen verschwand eine übel riechende Frau mit einem Sack auf dem Rücken in dem Zelt Theresas und Alice’.
»Diese jungen Weiber«, brabbelte sie. »Es ärgert mich, dass Peter Bartholomäus beim weihnachtlichen Mysterienspiel nur auf sie gesehen hat. Er hat die eine an ihrer Schminke und ihrem Ohrgehänge genau erkannt.
›Los!‹, hat er befohlen, mich am Nacken gepackt und mich in ihr Zelt gehetzt.
Wenn mir bloß genügend Zeit bleibt, das Versteck zu finden. Hoffentlich predigt Adhémar heute mal ausnahmsweise. Peter Bartholomäus hat ganz recht, der Legat des Papstes predigt viel zu selten, und schon gar nicht zu uns armen Leuten. Er wird noch den Zorn Jesu Christi auf sich ziehen. Aber heute ist Weihnacht, da wird der Bischof wohl endlich auch einmal das Wort Gottes verkünden. Trotzdem, ich muss mich beeilen. Dunkel ist’s hier im Zelt. Aber ich habe Augen wie eine Katze, behauptet Peter Bartholomäus. Dieser Schmeichler.
Wo haben sie nur ihr Essen versteckt? Wenn sie mich nun erwischen. Das Liebchen von dem Ritter von Baerheim zu bestehlen, kann sehr unangenehm werden. Hoffentlich lässt er mir nicht die Hand abschlagen. Ach was, tut er nicht. Peter Bartholomäus sagt, eine Frau würde nicht so hart bestraft. Trotzdem, warum immer ich? Warum soll ausgerechnet ich die Lebensmittel stehlen? Warum gehorche ich diesem Peter Bartholomäus, diesem Seher. Er ist doch nichts als ein Bauer, nichts als ein Bediensteter, der einem mal an die Brust greift. Wieso hat er diese Macht?
Meinen Mann habe ich verlassen, bin allein ohne ihn auf die Pilgerfahrt gegangen. Mein Leben lang Körbe flechten … ›Nein‹, habe ich gesagt. Er aber hat über die Kreuzfahrer gelacht und gemeint, sie seien Irrsinnige. Diese Pilgerfahrt würde nichts als das Leben kosten, da sei es besser, Weiden zu schneiden. Wer ihm nun wohl die Körbe flicht? Daran will ich gar nicht denken, wer das sein könnte. Und ich bin hier vor Antiochia und esse Ratten und hungere. Das Schreckliche ist, ich verhungere wirklich. Kein Spaß, kein Witz. Wie konnte ich nur allein, ohne Geld und Schutz, das Kreuz nehmen? Jesus Christus – unser Schwert und Schild? Hastig mich bekreuzigen. Das ist Sünde. Herr, vergib mir!
Da – das Kästchen. Es hat einen glänzenden Verschlag. Gold? Das Kästchen nehme ich mit. Nein, es könnte mich verraten. Was da wohl drin ist? – Ganz leicht ist es zu öffnen. Schminke. So viel Schminke hat diese Dirne aus Konstantinopel oder Nikäa mitgenommen. Läuft mit ihren roten Lippen und roten Wangen, schwarz umrandeten Augen und ihrem langen, klimpernden Ohrgehänge im Lager herum, während wir armen Frauen verhungern.
Was ist das? Noch nie gesehen. Das schaut merkwürdig aus. Es ist rund, fühlt sich glatt an und duftet köstlich. Es riecht nach Rosenöl. Wozu sie das wohl braucht? Auftragen auf die Haut kann man es nicht. Wenn ich dran kratze, splittert es. Möglicherweise ist es doch essbar und sie hat es zwischen der Schminke versteckt, damit niemand diese Köstlichkeit findet. Es ist bestimmt eine Delikatesse. Ich werde es probieren. Nur einmal hineinbeißen.
Bäh, igitt,
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