Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
gewollt. Er war ihr zu wild, zu leidenschaftlich, zu liebevoll. Er liebte außerhalb des Üblichen. Verstehe mich richtig, da war nichts zwischen den beiden, ich meine … Aber seine Verliebtheit war doch offensichtlich.
Jedenfalls, um auf den Fluch zurückzukommen. Am Tag unserer Hochzeit, genauer, in der Nacht, als die Hochzeitsgäste um unser Bett herumstanden und wir das Sakrament der Ehe vollziehen sollten, da rief er, dass es uns in die Knochen fuhr:
»›Wenn ihr wüsstet, was ich jetzt tun werde!‹«
»Das war der ganze Fluch?«, fragte Alice.
»Nun, wir haben es damals noch nicht ganz so aufgefasst. Nur unheimlich war das. Es kam keine Freude, kein Glück mehr auf zwischen uns.« Er blickte Alice traurig an.
»Was hat dein Bruder dann getan?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe oft darüber nachgedacht. Auf jeden Fall verließ er den Raum und war verschwunden. Ich meine, er war fort und er blieb fort. Er hat sich wahrscheinlich in den nächsten Wochen in den Wäldern herumgetrieben, bei Bauern gearbeitet, es wurde Frühling und es gab viel zu tun auf dem Lande. Nach ungefähr drei Monaten kehrte er plötzlich wieder zurück. Er sah ziemlich heruntergekommen aus und ich dachte: Na, Bürschchen. Schaffst es nicht, etwas Rechtes zu werden ohne deine Familie. Die Schadenfreude, ich muss es gestehen, es war so ein böses Gefühl, hielt nicht lange an. Daniel erklärte bereits am ersten Tag seiner Rückkehr, er wolle Kaufmann werden. Er wolle das Geschäft meines Vaters erweitern und nach Island ziehen, um dort mit Seife zu handeln. Er hatte nämlich gehört, im Orient gäbe es schon so etwas. Mein Vater war erstaunt, hielt aber den Vorschlag für gut und einträglich. Mir war es mehr als recht, denn mit ihm und Felicitas unter einem Dach zu leben, erwies sich als qualvoll, auch wenn Daniel sie nicht beachtete, sogar so wenig beachtete, dass es unhöflich war. Schließlich war sie jetzt seine Schwägerin, die Herrin des Hauses.
Was mich wunderte, war, dass sich Daniel mehrfach mit Martha stritt, aber wie! Nicht laut, ganz leise. Dass Daniel die Magd nicht ausstehen konnte, war nichts Neues. Aber bis dahin war er ihr immer aus dem Weg gegangen.
Diese feindliche Stimmung machte das Leben im Haus nicht gerade erträglicher. Ich habe Martha später gefragt, worüber sie sich mit meinem Bruder gestritten habe, aber sie sah mich nur von oben herab an, presste die Lippen zusammen und schwieg.
Jedenfalls stürzte er sich auf die Handelsbücher. Er wollte alles lernen, alles wissen. Ich möchte sagen, Tag und Nacht prüfte er die Bestände, die Ausgaben und Einnahmen, sodass er, als er ins Kloster ging, über das Vermögen des Handelshauses genau Bescheid wusste und gnadenlos abkassierte. Mein Vater war entsetzt. Die Schenkungen, die mit dem Eintritt in ein Adelskloster verbunden waren, brachten unsere Finanzen auf einen Tiefpunkt. Er wollte Geld, der Abt des Klosters wollte Geld. Daniel ließ übrigens die ganzen Finanzgeschäfte über Elias, den Juden, abwickeln. Ihn selber haben wir nach seinem Eintritt ins Kloster bis zu jenem Tag, als er bei uns auftauchte, niemals wieder gesehen.«
Alice lag nun die Frage auf der Seele, die sie seit Monaten bedrückte.
»Ich war bei dem Gespräch mit dem Abt dabei. Ich habe gelauscht«, gestand sie endlich, »wirklich, ich wollte mich gar nicht vor Euch verbergen und etwas heimlich tun. Also, ich habe gehört, dass der Abt Euch beschuldigte. Dass Ihr etwas Furchtbares getan haben sollt.«
Karl überlegte.
»Der Abt, mein Bruder, hat mir in jener Nacht, in der deine Mutter starb, vorgeworfen und dann die ganzen Jahre hindurch daran festgehalten, ich hätte meine Frau, deine Mutter, getötet. Ich hätte ihr eigenhändig von hinten einen Stoß versetzt, sodass sie die Steintreppe hinuntergefallen sei.«
»Wieso kann er das behaupten?«, fragte Alice.
»Mein Bruder war direkt hinter mir. Deine Mutter ging uns voran, ich folgte ihr. Daniel behauptet, er habe gesehen, wie ich ihren Rücken berührt habe. Genau in dem Moment sei sie gestürzt.«
Es war ganz still in dem Raum.
»Alice, ich weiß bis heute nicht, ob ich sie wirklich gestoßen habe. Ich war viel zu betrunken. Ich gestehe meine Schuld und muss mit dieser Sünde seitdem leben. Darum habe ich das Kreuz genommen. Ich hoffte auf Vergebung in Jerusalem.
Aber …«
Alice wusste, was ihr Vater dachte: Ich werde Jerusalem niemals sehen.
Sie sagte mit möglichst fester Stimme:
»Wir können es noch schaffen. Mit dem
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