Die Pilgerin
Da kannst du höchstens den Teufel finden, und zu dem wirst du wohl nicht wollen.«
»Nein, gewiss nicht. Danke!« Tilla wusste selbst nicht, weshalb sie so freundlich antwortete, und Sebastian wunderte sich ebenfalls, denn bisher hatte er meist nur bissige Bemerkungen von ihr zu hören bekommen. Er half ihr, sich in dem nach vorne drängenden Knäuel von Pilgern zu behaupten, und kam als einer der Ersten an Bord. Nicht weit von ihm entfernt schob Ambrosmit seinen langen Armen die Menschen auseinander, damit Hedwig und die Zwillingsschwestern die Fähre betreten konnten, während Rudolf von Starrheim bei Bruder Thomas blieb und die Leute wegscheuchte, die diesem zu nahe kamen. Der Inhalt des Hutes schien für einige Pilger eine große Verlockung zu sein, auch wenn sein Inhalt nur aus kleinen Münzen bestand, doch der drohende Blick des jungen Edelmanns schreckte auch den hartnäckigsten Langfinger ab. Die Leute hatten nicht vergessen, dass am vergangenen Nachmittag ein Mann in den Strom geworfen worden und elend darin umgekommen war, und zeigten wenig Neigung, dessen Schicksal zu teilen.
Im Gegensatz zum Vortag blieb es bis auf das Gedränge vor der Fähre diesmal ganz ruhig. Der Ferge nahm das Geld entgegen, das Vater Thomas ihm reichte, und zählte es genau nach. Er schüttelte den Kopf.
»Ihr Pilgrime glaubt immer, mit einem frommen Spruch sei alles bezahlt. Doch mit Gottes Lohn kann ich weder mein Weib und mich noch unsere Kinder ernähren. Nächstens sucht ihr euch alle eine andere Stelle zur Überfahrt.«
Als Starrheim Tilla diese Worte übersetzte, wies diese mit einer heftigen Geste auf das Geld, das auf ein Tuch geschüttet vor ihm lag. »Das hier ist nicht Gottes Lohn! Auf der Donau holt man für weniger über.«
Der Franzose hatte Tilla zwar nicht verstanden, doch der zornige Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach für sich. »Was sagt das Weibsstück?«, wollte er von Starrheim wissen.
Dieser teilte es ihm mit und erntete den Fluch, der eigentlich Tilla galt. »Wenn sie will, kann sie auch hier am Ufer bleiben und hinter euch herschauen, wie ihr weiter in Richtung Santiago zieht!«
Starrheim legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter. »Versuche es lieber nicht. Sonst würden wir erkunden wollen, wie gut du und deine Knechte schwimmen können. Der Krieger von gestern konnte es nicht.«
»Daran bist nur du schuld gewesen. Weshalb musstest du das Fräulein beleidigen?« Der Ferge verstaute das Geld unter seinem schärpenartigen Gürtel und wandte sich ab.
»Los, Kerle, wir wollen wieder hinüber«, rief er seinen Knechten zu. Während diese ihre Stangen ergriffen und den Prahm, den ihr Meister vom Ufer freimachte, in die Strömung hineinlenkten, dachte Rudolf von Starrheim an die freche Göre, die ihn am Vortag geärgert hatte, und wünschte sich, ihr einmal so richtig die Meinung sagen zu können. Dabei wusste er nicht einmal, wer sie war, denn er kannte nur ihren Vornamen – Blanche – und hatte gesehen, dass der Anführer ihrer Eskorte einen Baum mit grünen Zweigen als Wappen getragen hatte.
IV.
Die Überfahrt ging trotz der vielen Menschen, die sich auf der Fähre drängten, leichter vonstatten als am Tag zuvor, denn es waren noch keine voll beladenen Fuhrwerke erschienen, die den Prahm mit ihrer Last tief ins Wasser gedrückt hätten. Trotzdem atmete Tilla auf, als sie das andere Ufer erreicht hatten und an Land steigen konnten. Sebastian stand ihr auch hier bei und Bruder Carolus wollte ihr ebenfalls helfen, doch Vater Thomas befahl ihm, sich um Hedwig zu kümmern.
Keinem lag daran, länger bei der Fähre zu bleiben, zumal es weder einen kühlen Trunk noch etwas zu Essen gab. Eine der Pilgergruppen übernahm die Spitze, die restlichen reihten sichdahinter ein und dann ging es unter dem Absingen frommer Hymnen und Lieder weiter.
Mehrere Tage blieb die Schicksalsgemeinschaft zusammen, die sich an den Ufern der Rhône gebildet hatte, dann verliefen sich die einzelnen Gruppen. Die einen wollten nach dem langen und harten Marsch eine Rast einlegen, andere wiederum strebten mit aller Macht weiter, und weitere hatten die Absicht, abseits vom Wege gelegene Klöster und heilige Stellen aufzusuchen, an denen sie um Gnade und Vergebung bitten konnten.
Vater Thomas kannte diese Gegend nicht gut genug, um unbesorgten Herzens in die Wildnis hineinziehen zu können, und hielt sich daher an die große Pilgerstraße. Doch auch hier verloren sich die einzelnen Gruppen bald aus den Augen. Nur wer früh am
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