Die Pilgerin
mochte. Sie trug ein am Hals hochgeschlossenes, grünes Kleid, dessen Rock die Füße der Reiterin und den Rumpf des Pferdes bedeckte. Ein Häubchen mit einem Schleier beschattete ihr Gesicht und ließ nur kalt blitzende, blaue Augen erkennen.
Sie schien die Pilger in ihren einfachen und teilweise sogar abgerissenen Gewändern nicht einmal zu bemerken, denn sie ritt zwischen ihnen hindurch, als bestünden sie aus Luft. Vier Reisige in Lederrüstungen und einer grünen Schärpe um die Hüften vervollständigten den Zug.
Rudolf von Starrheim maß den Platz auf der Fähre und erkannte, dass nur wenige der Pilger würden mitfahren können. Mit einer energischen Bewegung wandte er sich an den Fergen. »Halt, Freund, als Erstes solltest du jene mitnehmen, die dir geholfen haben, die Wagen auf dein Boot zu schieben.«
»Hier quakt wohl ein Frosch«, spottete die junge Dame, die gerade an ihm vorüberritt. Für den jungen Edelmann war dies zu viel. Seine Hand schnellte vor, packte den Zaum ihrer weißen Stute und zwang diese stehen zu bleiben.
»Dafür wirst du mir Abbitte leisten, mein Kind!« Er sah sie zornig an und wollte, als er ihr Unverständnis in den Augen las, bereits seinen Namen nennen, damit sie wusste, mit wem sie es zu tun hatte.
Einer der Reisigen zog das Schwert und holte aus, um den Burschen niederzuschlagen, der es gewagt hatte, seine Herrin aufzuhalten. Tilla bemerkte es im letzten Augenblick, riss ihren Wanderstock hoch und hieb mit aller Kraft zu. Sie traf das Handgelenk des Mannes, hörte seinen Schrei und sah die Waffe nutzlos zu Boden fallen.
Jetzt begriff auch Starrheim, in welcher Gefahr er geschwebt hatte. Mit einer geschmeidigen Bewegung brachte er das Schwert des Kriegers an sich und reckte die Spitze den anderen Bewaffneten entgegen.
»Versucht es nur, aber beschwert euch hinterher nicht, wenn die Fluten der Rhône eure toten Leiber dem Meer zutragen!«
Ambros, Dieter und etliche andere Pilger, die sich über die Reitergruppe geärgert hatten, reihten sich neben Starrheim ein. Auch wenn sie nur ihre Stöcke und Messer hatten, so waren sie den Reitern an Zahl überlegen. Deren Anführer kaute wütend Luft, wagte aber nicht, gegen die zornigen Pilger vorzugehen. Der Mann, dem Tilla das Schwert aus der Hand geprellt hatte, heulte vor Schmerz und fluchte, dass einem Priester die Ohren abfallen konnten.
»Dieses Miststück hat mir das Handgelenk gebrochen!« Für Augenblicke sah es aus, als wolle er trotz der gemurmelten Drohungen der umstehenden Pilger auf Tilla losgehen.
Starrheim trat jedoch dazwischen und stieß den Mann mit einer verächtlichen Bewegung zurück. »Diese Verletzung hast du dir selbst zuzuschreiben. Was musstest du auch versuchen, mich hinterrücks anzugreifen? Dir aber, Tilla, meinen Dank. Daswerde ich dir niemals vergessen.« Dann streifte er die junge Reiterin mit einem spöttischen Blick und wandte sich ihrem Begleiter zu.
Diesem hatte Starrheims Redeweise inzwischen verraten, dass kein einfacher Pilger vor ihm stand, sondern ein Mann von Rang, der aus welchen Gründen auch immer Stock und Pelerine der Santiago-Pilger ergriffen hatte. Er schwankte kurz, ob er mit ihm reden sollte, sah dann aber auf die wütenden Pilger und beschloss, dass Vorsicht besser war als übertriebener Mut.
»Auf die Fähre, Leute! Du auch, Blanche!«
Das junge Mädchen hatte inzwischen die Gefahr begriffen, die von den aufgebrachten Pilgern ausging, und gehorchte sofort. Zwei der Reisigen konnten ihre Pferde noch auf die Fähre führen, denn der Ferge löste bereits die Leinen und stieß das Boot ab. Zornige Rufe folgten ihm, und einige Männer warfen Steine, die sie am Ufer auflasen, hinter der Fähre her.
Mit einem Mal wandte sich einer der Pilger, der seinen Flüchen nach wohl ein Mann aus Burgund oder Savoyen sein musste, mit einem boshaften Grinsen den beiden letzten Bewaffneten zu, die es nicht mehr auf die Fähre geschafft hatten. »Wenn wir schon was werfen wollen, dann nehmen wir am besten doch diese Kerle dazu.«
Einer der beiden war der Mann mit dem gebrochenen Handgelenk. Ihn riss die Meute ohne viel Federlesens aus dem Sattel, schleifte ihn zum Wasser und stieß ihn trotz seiner verzweifelten Rufe in den Fluss.
»Ich kann nicht schwimmen!«, hörte Tilla ihn noch kreischen, dann versank er in den Fluten.
Der zweite Reisige nutzte den kurzen Augenblick, in dem alle Aufmerksamkeit seinem Kameraden galt, gab seinem Pferd die Sporen und teilte die ihn umgebenden Pilger wie
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