Die Pilgerin
verrieten, ihre Brüste aber hatten unterwegs an Umfang gewonnen. Zunächst hatte sie befürchtet, durch Aymer de Saltilieu geschwängert worden zu sein, doch seit zwei Tagen war sie auch dieser Sorge ledig. Ihr Blut war geflossen und sie dankte Gott, dem Herrn, und der Heiligen Jungfrau für ihren Schutz.
Sebastian hatte inzwischen gemerkt, dass er sich Tilla gegenüber im Ton vergriffen hatte, und wollte sich bei ihr entschuldigen. Sie war jedoch so mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, dass sie seine bittenden Blicke nicht bemerkte, und als er sie ansprach, reagierte sie einsilbig. So entschloss er sich, zur Kapelle zu wandern, um sich einen guten Platz für die Nacht zu sichern.
Nach und nach folgten ihm die anderen. Für einen Augenblick hoffte Sebastian, Tilla würde sich neben ihn legen, fürchteteaber gleichzeitig, sie würde es wirklich tun, denn er wusste nicht, ob er genug Selbstbeherrschung aufbringen konnte, sie nicht zu berühren. Zu Hause in Tremmlingen hatte er sie kaum als weibliches Wesen wahrgenommen, doch jetzt erfüllte sie seine nächtlichen Träume und erhitzte am Tag seine Sinne. Weshalb dies so war, konnte er nicht sagen. In der bitteren Stimmung dieses Abends nahm er an, er habe nur Verlangen nach ihr, weil Hedwig, Anna und Renata nicht die Frauen waren, die einen jungen Mann wie ihn reizen konnten. Bei ihren Nachtlagern in den Klöstern trafen sie zwar immer wieder auf junge Frauen, die sich durchaus ungeniert in der Halle auszogen und zum Schlafen niederlegten. Doch weder die vollen Brüste noch die Hüften, die sie präsentierten, vermochten sein Blut so in Wallung zu bringen wie ein Blick auf Tillas schlanke Gestalt. Dabei ging sie nie so weit, sich nackt vor ihm oder einem der anderen Männer zu zeigen. Das war wohl eine Folge der Zeit, in der sie sich als Otto ausgegeben hatte.
Sebastian fragte sich, ob Tilla in ihrer Verkleidung auch Bruder Carolus gereizt hätte, beantwortete sich diese Frage aber mit einem Nein. Der Karmeliter hatte scharfe Augen und ein gutes Beobachtungsvermögen, daher hätte er ihre Verkleidung sofort durchschaut. Andere wie Rudolf von Starrheim waren jedoch so blind, dass sie Tilla auf der gesamten Reise nach Santiago und zurück für einen jungen Mann gehalten hätten.
Während Sebastian leise darüber lachte, glitten seine Gedanken zum ersten Mal seit langem wieder in die Heimat zurück, und er fragte sich, was sein Vater und sein Bruder derzeit wohl tun würden. Sicher ruhten sie bequem in ihren Betten anstatt auf der vorspringenden Kante einer Steinplatte zu liegen, und hatten wohl auch weniger Sorgen.
Es mochte an dem kargen Mahl liegen, das die Stimmung derGruppe trübte, oder an den schlechten Nachrichten. An anderen Abenden hatten die zwölf noch ein wenig miteinander geplaudert, doch an diesem hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Tilla richtete ihre Sinne nach vorne und sie fragte sich, wie lange es noch dauern mochte, bis sie Santiago erreichten. Es drängte sie mehr denn je, dort zu beten und das Herz ihres Vaters in geweihter Erde zu begraben.
Rudolf von Starrheim dachte an seinen Freund Philippe de Saint Vith, der inzwischen seiner Braut die Nachricht von seiner Pilgerfahrt überbracht haben musste, und kämpfte mit dem Gefühl, dass er damals nicht aus religiöser Inbrunst, sondern aus Feigheit diesen Weg gewählt hatte.
Neben ihm wälzte Vater Thomas sich schlaflos herum und versuchte, seinen müden Gedanken verzweifelt einen Weg abzuringen, der ihm sicher erschien. Auf der Strecke im Süden hätte er viele Alternativen nennen können, doch dieses Land hier war ihm beinahe völlig unbekannt und er konnte sich nur auf das verlassen, was die Mönche in diesem Kloster ihm erzählt hatten.
V.
Das Frühstück am nächsten Morgen bestand aus der gleichen Wassersuppe wie am Abend. Dennoch schlangen die französischen Pilger sie hinunter, als stände jemand mit der Peitsche hinter ihnen, und sie wurden auch bald durch das »Vite! Vite!« ihres Führers auf die Beine getrieben. Diesmal, so schien es, wollten sie auf jeden Fall vor den Deutschen an die Futternäpfe des nächsten Klosters kommen.
Vater Thomas und die Seinen ließen sie ziehen, denn sie wussten, dass sie mit dieser schnell ausschreitenden Gruppe nichtmithalten konnten. Als sie aufbrachen, stimmte der Priester ein Lied an und lächelte zufrieden, als seine Schützlinge es aufnahmen. Einem Mund allerdings entwichen andere Töne als frommer Gesang.
Peter hatte sich heimlich
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