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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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an.
    Verwundert, weil er plötzlich gute Seiten an dem Mönch entdeckte, schüttelte Sebastian den Kopf. »Warst du schon einmal in Santiago, Bruder Carolus?«
    »Bisher leider noch nicht.« Der Mönch seufzte und sah Sebastian mit einem Blick an, der Trauer und Scham ausdrückte. »Vor Jahren hatte ich mich einer Gruppe angeschlossen, die zum Grab des heiligen Apostels pilgern wollte, doch unterwegs trafen wir einen meiner Mitbrüder, der meinen Begleitern gewisseDinge über mich berichtete. Daraufhin haben sie mich mit Stockhieben und Steinwürfen davongejagt.«
    Sebastian sah den Karmeliter fragend an. »Aber du hattest damals doch gar nichts getan, oder?«
    »Es war eine Sünde aus meiner Jugendzeit, die auf mich zurückfiel. Damals bin ich mit einem nur wenig älteren Mitbruder durch die Lande gezogen, um Gott und die Heilige Jungfrau durch ein frommes, armes Leben in Askese zu ehren. Eines Nachts, als es kalt geworden war und wir uns eng aneinander drückten, um uns gegenseitig zu wärmen, geschah das, was nie hätte geschehen dürfen. Glaube mir bitte, dass nicht ich es war, der das sündige Tun begonnen hat, sondern mein Mitbruder. Am nächsten Morgen trennte ich mich von ihm voller Entsetzen über das, was wir getrieben hatten. Halt, nein – ich will nicht lügen. Ich floh vor ihm, weil ich Angst davor hatte, es wieder zu tun. Ich war wie Wasser in seinen Händen gewesen, und wäre ich bei ihm geblieben, hätten wir wieder und wieder gesündigt.«
    Ganz passte diese Beichte nicht zu dem Bild, das Sebastian sich von Bruder Carolus gemacht hatte. »Wie bist du dann in diesen Ruf gekommen, der dir schier das Kainsmal auf die Stirn zeichnet?«
    »Mein Mitbruder war zornig, weil ich ihn verlassen hatte, und hat im nächsten Kloster unsere Sünde gebeichtet. Dies tat er überall, wo er auch hinkam, bis der Ruf mich einholte und mich zu dem Sünder machte, der ich nie hatte sein wollen. Ich habe mich kasteit, meinen Leib der Kälte, dem Hunger und dem Ungeziefer ausgeliefert, um den Trieb niederzukämpfen, der in jener einen Nacht in mir geweckt worden war. Lange Zeit schien mir dies zu gelingen, doch als ich dich sah und glaubte, du wärst wie ich, da …« Er brach ab und schüttelte mutlos den Kopf.
    »Dabei war es ganz anders, nicht wahr? Du hast keinen jungen Mann gesucht, sondern sie!« Bruder Carolus wies dabei auf Tilla, die wie ein Küken neben der sich aufplusternden Hedwig saß und an den Resten ihres Nachtmahls kaute.

II.
    Am nächsten Tag erreichten sie kurz nach dem Mittagsläuten die Rhône. Die Nebenläufe des in seinem Tal mäandrierenden Flusses konnten sie auf einfachen Stegen überqueren oder an Stellen durchwaten, an denen im Wasser versenkte Felsbrocken künstliche Furten bildeten. Doch der mächtige Hauptstrom musste zu Schiff bezwungen werden.
    Vater Thomas hielt auf die Anlegestelle zu, an der eben eine Fähre beladen wurde. Kaufleute mit ihren Fuhrwerken hatten Vorrang vor allen anderen Passagieren, denn sie zahlten am besten. Gerade wurden drei Gespanne auf den großen Prahm geschafft, und da die Ochsen zu unruhig waren, hatte man sie ausgespannt und die Pilger und die Reisenden zu Fuß aufgefordert, zuzugreifen. Sie taten es gerne, erhofften sie sich dadurch doch eine kostenlose Überfahrt.
    Auch Ambros, Dieter und Manfred halfen mit, ohne dass es ihnen befohlen wurde. Tilla hingegen musterte die Zahl der Pilger, zählte dann die Männer und Tiere der Reitergruppe, die etwas abseits wartete, und betrachtete zuletzt die Fähre, die unter der Last der Zugochsen so tief lag, dass die Bordwand nur noch eine Handspanne über das Wasser ragte. Das bereitete ihr Sorge, denn sie hatte erlebt, wie überladene Fähren auf der Donau untergegangen und die Menschen darauf elendiglich ertrunken waren. Die meisten hier schienen diese Befürchtungjedoch nicht zu teilen, sondern versuchten alle gleichzeitig auf die Fähre zu gelangen.
    Der Ferge wies seine Knechte an, die Fußgänger mit ihren Stangen zurückzutreiben, und verneigte sich in Richtung der Reiter. »Wenn die hohen Herrschaften so gnädig wären, meinen Nachen zu betreten.«
    Der Anführer der Gruppe, ein Ritter in einem mit dunklem Leder überzogenen Harnisch und einem konischen, federgeschmückten Helm auf dem Kopf, setzte seinen schweren Braunen in Bewegung und lenkte ihn durch die dicht gedrängten Pilger. Dabei teilte er die Menge für seine Begleiter, zu denen auch ein junges Mädchen gehörte, das höchstens vierzehn Jahre zählen

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