Die Pilgerin
Gürtler seit einem knappen Jahr unter der Erde, und ihr Mann hatte noch in der Trauerzeit begonnen, sich nach einem anderen Weib umzusehen. Auch wenn Tilla für Damian Laux nichts anderes empfand als eine gewisse Anerkennung für sein geschäftliches Geschick, so erschien ihr eine Ehe mit ihm doch weitaus erstrebenswerter, als mit Gürtler vermählt zu werden.
Tillas Schweigen beunruhigte Elsa. »Hast du überhaupt eine Vorstellung, wie es im Ehebett zugeht? Du solltest es wissen, bevor man dich hineinlegt und dir der Schrecken über das, was dein Mann mit dir treibt, in die Glieder fährt.«
»Nun, ungefähr schon, wenn auch nicht genau. Ilga hat einmal eine Andeutung gemacht, und einer der Knechte hat mich vor ein paar Jahren in eine Ecke gezogen und versucht, mir unter den Rock zu greifen. Ich habe mich jedoch losreißen und davonlaufen können.«
»Sei froh, dass es dir gelungen ist! Es wäre keine schöne Erfahrung für dich geworden. Du kennst doch die Magd vom Schrimpp, die im letzten Jahr von ein paar Söldnern in die Büsche gezerrt worden ist. Dasselbe hatte der Knecht wohl auch mit dir vor.« Elsa bekam Herzklopfen bei dem Gedanken, dass Tilla beinahe im Haus ihres Vaters das Opfer einer Vergewaltigung geworden wäre, und sprach so beruhigend auf ihre junge Freundin ein, als hätte sich der Vorfall erst an diesem Tag zugetragenund nicht vor über acht Jahren. Der Knecht, der sich damals an Tilla hatte vergreifen wollen, war nicht mehr lange bei Willinger geblieben, denn Tillas Vater hatte ihn dabei ertappt, wie er die damals noch kindhafte Ilga auf einen Sack niedergedrückt und ihr den Rock hochgeschlagen hatte. Daraufhin hatte er ihn mit Stockhieben aus der Stadt treiben lassen.
Um Tilla nicht weiter mit einem solchen Thema zu beunruhigen, kam die Alte auf die geplante Pilgerfahrt zu sprechen und erzählte Tilla einiges von dem, was sie von anderen Santiago-Fahrern gehört hatte. Dabei achteten beide so wenig auf die Zeit, dass Tilla beim Ruf des Nachtwächters schuldbewusst zusammenzuckte.
»Bei Gott, jetzt habe ich mich aber arg verschwätzt! Dabei hätte ich doch gleich wieder nach Hause gehen müssen, um Vater zu pflegen.« Sie sprang auf und wollte das Häuschen verlassen.
Elsa aber hielt sie auf. »Es ist mittlerweile stockdunkel draußen. Nimm meine Laterne mit, sonst stolperst du noch über irgendwas oder läufst gegen eine Wand.« Die Witwe nahm den kleinen Behälter vom Bord, der an der Spitze mit einem Ring versehen war, stellte ein Binsenlicht hinein und zündete es an. »Eine Kerze habe ich leider nicht.«
Tilla lächelte über ihren Eifer. »Bis nach Hause werden das Öl und der Binsendocht schon vorhalten. Ich bringe dir die Laterne morgen zurück. Und jetzt Gott befohlen!«
»Gott befohlen, mein Kind.« Elsa öffnete Tilla die Tür und sah ihrer jungen Freundin nach, die mit raschen Schritten in Richtung Innenstadt eilte. Von der Mauer erklang immer noch das Lied des Nachtwächters, der den Bewohnern mitteilte, dass alles in Ordnung sei. Als Elsa in ihre Küche trat und die Tür hinter sich schloss, sprach sie ein kurzes Gebet. Die reichen Leute, dachte sie seufzend, scheinen mehr Sorgen zu haben als unsereins. Sie selbst lebte beschaulich und hatte ihr schmales Auskommen, das zumindest den ärgsten Hunger stillte. Tilla hingegen musste zwischen zwei Bewerbern wählen, von denen nach Ansicht der alten Frau es keiner wert war, dieses hübsche, kluge Mädchen zur Frau zu bekommen.
VII.
Zu ihrer Überraschung fand Tilla das Hoftor des Willinger-Anwesens nur angelehnt vor. Von dem Knecht, der dort aufpassen sollte, dass niemand unbefugt eintrat, war weit und breit nichts zu sehen. Sie drückte es von innen zu und schob die beiden schweren Riegel vor. Dabei nahm sie sich vor, dem unaufmerksamen Knecht am nächsten Morgen kräftig die Leviten zu lesen.
Die Tür zum Hof und die zur Straße waren ebenfalls noch unverschlossen. Tilla fluchte über so viel Leichtsinn, denn eine solche Unaufmerksamkeit lockte Diebe an. Wütend holte sie ihren Schlüsselbund, den sie bei längeren Ausflügen in einem Kästchen zurückließ, verschloss sowohl die Tür zum Hof wie auch die zur Straße und schob an der Vordertür zusätzlich noch die Riegel vor. Sie würde ein ernstes Wort mit ihrem Bruder sprechen müssen, dessen Pflicht es war, in ihrer Abwesenheit die Schlösser und Riegel zu kontrollieren. Doch das hatte noch Zeit, denn ihr Vater brauchte sie dringender. In der Nische im Flur brannte
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