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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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liebsten hätte er den Mantel des Schweigens über diese Marotte seines Vaters gebreitet, doch dieser hatte höchstwahrscheinlichbereits mit dem Pfarrer darüber gesprochen, und so blieb ihm keine andere Wahl, als den frommen, gehorsamen Sohn zu spielen. Er tröstete sich damit, dass es eine Sache war, dem Toten das Herz herauszuschneiden, und eine andere, es bis nach Santiago zu tragen.
    Vater Eusebius vollführte eine weitere Segensgeste, bevor er Antwort gab. »Dies hat er mir gegenüber schon mehrfach geäußert, und es ist nun noch wichtiger geworden, seinen Willen zu erfüllen, da er ohne die heiligen Sterbesakramente in die Ewigkeit eingegangen ist.«
    »Könnt Ihr Vater denn nicht jetzt noch segnen, Hochwürden?« Tillas Stimme zitterte so stark, dass der Priester sie kaum verstehen konnte.
    »Ich tue, was ich kann, mein Kind, um deinem Vater wenigstens die Höllenpein zu ersparen. Was das Fegefeuer betrifft: daraus kann ihn wirklich nur der heilige Jakobus erlösen.«
    Da der Priester den Toten gekannt hatte, wusste er, dass schon ein halbes Wunder vonnöten war, um Willingers Seele nicht dem Teufel zufallen zu lassen. Daher erschien es ihm ebenfalls das Beste, wenn das Herz des Kaufmanns an einem heiligen Ort begraben wurde, denn nur so konnte dieser am Jüngsten Tag erlöst werden. Dies wollte er den Kindern des Toten jedoch nicht zu dieser traurigen Stunde erklären, seiner Meinung nach ging diese Tatsache nur Otfried an, der das Gelübde des Toten erfüllen musste. Tillas Gemüt wollte er nicht mit den bedrückenden Einzelheiten belasten.
    Das Mädchen presste die bebenden Hände gegen ihre Brust und sah den Arzt bittend an. »Könnt Ihr meinem Vater das Herz aus dem Leib schneiden, damit es nicht aus Versehen mit ihm begraben wird?«
    Gassner zog ein Gesicht, als habe sie ihm einen unsittlichen Antraggemacht. »Ich bin Medicus und kein Steinschneider. Holt Euch gefälligst einen Bader oder den Schinder, aber lasst mich mit so etwas in Frieden.«
    Bevor Tilla ihm eine Antwort geben konnte, legte ihr der Priester die Hand auf die Schulter. »Ich kümmere mich darum, mein Kind, und auch um ein Gefäß für das Herz. Der Zinnschmied wird es auf meine Bitte so schnell wie möglich anfertigen. Du, Otfried, solltest die Leichenfrau holen lassen, damit sie alles herrichtet.«
    Tillas Bruder nickte eifrig. »Ich werde Ilga gleich losschicken, hochwürdiger Vater. Euch und den ehrenwerten Herrn Doktor bitte ich jedoch, die Einladung zu einem kleinen Imbiss anzunehmen, den Ria eben in der Küche zubereitet.«
    »Dagegen habe ich nichts, denn Euer Ruf hat mich vom Abendbrottisch weggeholt.« Der Arzt hatte seinen Unmut über Tillas unbillige Forderung bereits wieder vergessen und folgte Otfried nach unten. Der Priester zeichnete noch einmal das Kreuz in die Luft, denn in seinen Augen brauchte Willinger jeden Beistand, der ihm half, vor dem himmlischen Richter bestehen zu können. Anschließend nickte er Tilla zu, die wie erstarrt neben dem Totenbett ihres Vaters kniete, und schloss auch sie in seinen Segen ein. Den würde sie nun bitter nötig haben.

VIII.
    Während seine Schwester die ganze Nacht bei dem Toten wachte und betete, schlief Otfried Willinger zufrieden ein und blieb von schlechten Träumen unbehelligt. Als er am nächsten Morgen erwachte, stand er mit dem Gefühl auf, von diesem Tag an ein bedeutender Mann zu sein. Er musste sich geradezuzwingen, ein betrübtes Gesicht zu machen. Bisher hatte er sich selbst um seine Morgengarderobe kümmern müssen, denn sein Vater war der Ansicht gewesen, dass ein Bürger keinen Leibdiener brauchte. Das wollte Otfried so rasch wie möglich ändern. Ein Mann in seiner Position hatte es nicht nötig, seine Hemden eigenhändig herauszusuchen und sich selbst zu rasieren.
    Als er in das Zimmer trat, in dem die Familie ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegte, folgte Ilga ihm mit einem vollen Tablett. Die graugrünen Augen in ihrem hübschen Gesicht leuchteten und ihre ganze Haltung zeigte, dass auch sie Änderungen im Haushalt erwartete, die zu ihren Gunsten ausfallen würden.
    »Stell mein Frühstück hin.« Otfried gab sich kurz angebunden und sah, wie der Glanz in ihren Augen erlosch. Dann aber sagte er sich, dass er sie nicht so rasch vor den Kopf stoßen durfte. Das dumme Ding war sonst noch in der Lage, zum Priester zu laufen und zu beichten, dass zwischen ihnen mehr geschehen war, als die heilige Kirche erlaubte.
    »Ist meine Schwester schon aufgestanden?«, fragte er

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