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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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du bleibst hier und betest für die Seele unseres Vaters, damit sie geradewegs ins Himmelreich aufsteigt.«
    Die drei nickten gehorsam, und während Ria und Ilga die Treppe hinunterstiegen, kniete Tilla neben dem Bett nieder und begann unter stetig fließenden Tränen zu beten. Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass ihr Bruder sich noch immer im Raum befand, und blickte zu ihm auf. »Jetzt kann unser Vater doch nicht mehr zum heiligen Jakobus wallfahren. Doch das Wissen, dass du sein Herz dorthin tragen und es beim Grabe des Apostels begraben lassen wirst, dürfte ihm die Zeit im Fegefeuer erleichtern.«
    Otfried fuhr herum, als hätte seine Schwester ihm eine Ohrfeige versetzt. »Was soll ich tun?«
    »Nun, Vaters Herz nach Santiago bringen, so wie es sein letzter Wille war. Er hat es dir doch gewiss gesagt, als du vorhin bei ihm gewesen bist!«
    Das stimmte zwar, doch Otfried war um nichts auf der Welt bereit, das zuzugeben. »Davon weiß ich nichts. Du musst dich verhört haben, Tilla.«
    »Das habe ich gewiss nicht. Onkel Laux war Zeuge, als Vater es gesagt hat, und soviel ich weiß, hat er lange mit Vater Eusebius darüber gesprochen.«
    Otfried knirschte mit den Zähnen, denn das waren keine guten Nachrichten. Tillas Behauptungen hätte er noch als überspanntes Gerede hinstellen können, doch wenn Laux und der Pfarrer ihre Worte bestätigten, sah die Sache anders aus. Noch war der Bürgermeister in der Lage, den Hohen Rat dazu zu bringen, ihm diese Wallfahrt zu befehlen. Am liebsten wäre Otfried zu seinem Freund Gürtler geeilt, um sich mit diesem zu beraten. Doch zunächst musste er auf den Priester und den Arzt warten, und er durfte Tilla nicht aus den Augen lassen, sonst würde sie überall herumerzählen, dass er dem letzten Willen des Vaters trotzen wolle. Er trat auf sie zu und legte der Knienden die rechte Hand auf die Schulter.
    »Ich will dir gerne glauben, dass unser Vater sein Herz an jener heiligen Stelle begraben sehen wollte, und ich werde auch alles in die Wege leiten, damit es dazu kommt. Allerdings kann ich mich nicht sofort auf den Weg machen, denn ich muss mich zuerst darum kümmern, dass die Geschäfte weiterlaufen.«
    Seine Worte erinnerten Tilla fatal an jenes Geständnis ihres Vaters, der ihrem Großvater geschworen hatte, die Wallfahrt zum Apostel Jakobus anzutreten. »Versprich mir, dass du so rasch wie möglich aufbrichst. Was unseren Handel betrifft, so kannst du ihn in der Zwischenzeit getrost Onkel Laux anvertrauen. Er wird dich um keinen Heller betrügen.«
    Otfried drehte sich zum Fenster und spie ein paar lautlose Flüche aus, Tilla würde wohl nicht so leicht aufgeben, sondern ihn immer wieder an diese verdammte Pilgerfahrt erinnern. Was sollte er im fernen Spanien, wenn es hier in Tremmlingen um einen weit höheren Preis ging als den Seelenfrieden eines Toten?Er war direkt froh, als unten Lärm aufklang und Vater Eusebius und in dessen Gefolge auch der Arzt erschienen.
    »Unser Vater ist tot! Als ich ihn am Abend verließ, war er noch bester Laune, doch als Tilla ihn einige Zeit später aufgesucht hat, lag er wie ein gefällter Baum im Bett«, erklärte Otfried, bevor seine Schwester etwas sagen konnte.
    Der Priester, ein zierlich gewachsener Mann mit einem fast kahlen Schädel und einem Gesicht, das an den Kopf jener Statue erinnerte, die ein Knecht vor ein paar Jahren bei dem vor der Stadt gelegenen Kloster ausgegraben hatte, spendete dem Toten den Segen und faltete anschließend die Hände zum Gebet. Unterdessen beäugte der Arzt den Toten mit einem verärgerten Blick, als trüge er es Willinger nach, dass dieser einfach gestorben war, anstatt nach der Einnahme seines Theriaktranks gesund zu werden.
    »Es war wohl ein letzter Fieberschub, der Euren Vater das Leben gekostet hat. Wäre es mir möglich gewesen, ihm das Heilmittel eher zu besorgen, bräuchtet Ihr jetzt nicht die Leichenfrau und den Totengräber zu bezahlen.« In dem Bewusstsein, mit diesen Worten seinen Ruf als Arzt gewahrt zu haben, trat Gassner zu Otfried, um ihm zu kondolieren. Es gelang Tillas Bruder meisterhaft, den gebrochenen Sohn zu spielen, während seine Schwester wie erstarrt wirkte und durch den Arzt hindurchsah, als bestände er aus Luft.
    »Ihr habt getan, was Ihr konntet, Herr Gassner.« Otfried nickte dem Arzt zu und wandte sich dann an den Priester.
    »Es war der letzte Wunsch unseres Vaters, dass sein Herz seinem toten Leib entnommen und nach Santiago de Compostela gebracht wird.«
    Am

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