Die Pilgerin
taten. Aus diesem Grund war Fleisch auf ihrem Tisch rar und ein zartes Brathuhn gab es nur alle heilige Zeiten, wenn am Tisch der Willingers eines übrig geblieben war und Tilla es vor den Knechten und Mägden hatte retten können.
»Deinem Vater geht es wieder besser? Gott sei Lob und Dank! Willinger ist zwar ein harter Mann, aber gegen mich und meinen Mann war er immer gerecht.« Mit dieser Feststellung stießElsa ein munteres Gespräch an, in dessen Verlauf sie erfuhr, dass Willinger sein Testament ändern wollte.
Tilla kam auch auf die Gewissensnöte ihres Vaters zu sprechen. »Weißt du, Elsa, er hat Angst, er könnte nicht mehr selbst zum Grab des heiligen Apostels Jakobus pilgern. Jetzt will er Otfried dazu verpflichten, sein Herz vor der Beerdigung aus der Brust nehmen zu lassen und dorthin zu bringen. Es ginge um sein Seelenheil, sagt er. Aber das liegt Gott sei Dank noch in weiter Ferne. Vielleicht wird er wieder so kräftig, dass er selbst reisen kann.«
Elsa kannte Willinger noch aus der Zeit, in der er sein Vermögen zusammengescharrt und dabei vor Mitteln nicht zurückgescheut hatte, die an Betrug und Diebstahl grenzten. Daher begriff sie besser als ihre junge Freundin, warum den Mann die Angst um sein Seelenheil quälte. Im Stillen fragte sie sich, ob sein Sohn seinem Willen folgen oder die Wallfahrt ebenfalls hinausschieben würde, bis es zu spät war.
»Beten wir zu Gott, dass dein Vater diese Pilgerreise selbst antreten kann! Aber reden wir lieber von dir, denn der Zeitpunkt deiner Vermählung rückt wohl näher. Wie gefällt dir der ältere Laux-Sohn? Bis jetzt dachte ich, Damian würde sich nur für seine Geschäfte interessieren. Für ein Eheweib bleibt da wenig Platz.«
Tilla zuckte mit den Schultern. »Damians Gefühle mir gegenüber kenne ich nicht. Er ist ein sehr ruhiger und gelassener Geschäftsmann und wird als Gatte wohl auch nicht anders sein. Ich glaube, wir werden gut zusammenpassen.«
»Na ja, bei den meisten reichen Leuten geht das so. Man heiratet nach dem Willen der Väter, die sich nach ihren eigenen geschäftlichen Interessen richten, und nicht nach herzlicher Zuneigung oder gar Liebe.«
»Liebe ist doch das, was ein Mann mit seinem Weib des Nachts im Ehebett treibt«, wandte Tilla etwas verwirrt ein.
»Wenn das so ist, liebt der Stier die Kuh, die er bespringt.« Elsa schüttelte den Kopf über Tillas Unerfahrenheit. Zwar war deren Mutter vor fünf Jahren gestorben, aber das Mädchen müsste doch wissen, dass das Zusammenleben zwischen Mann und Frau nicht nur aus einigen wenigen Augenblicken im Ehebett bestand und man sonst nebeneinanderher lebte wie fremde Leute. Elsa hatte ganz andere Erinnerungen an ihre eigene Ehe. Wohl waren ihr und ihrem Mann Kinder verwehrt geblieben, aber dennoch hatten sie einander innig geliebt und ein erfülltes Leben geführt. Dasselbe hätte sie auch Tilla gewünscht.
»Ich hoffe, dass du mit Damian glücklich wirst!«, stieß die alte Frau hervor, um ihre Zweifel zu verbergen. In ihren Augen war der ältere der Laux-Brüder ein aufgeblasener und von sich überzeugter Geselle, der von seiner Ehefrau erwartete, wie ein gut dressierter Hund aufs Wort zu gehorchen. »Gibt es keine anderen Bewerber um deine Hand?«
»Nur einen, soviel ich weiß, aber den will ich ganz bestimmt nicht!« Tilla bleckte in unbewusster Abwehr die Zähne.
»Du meinst Gürtler! Nein, der wäre nichts für dich. Man munkelt, dass es bei dem Tod seiner Frau nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Immerhin ist sie in fünfzehn Ehejahren kein einziges Mal schwanger geworden, obwohl ihr Mann einigen Mägden Bälger angehängt hat. Da er keinen seiner Bastarde als Nachfolger einsetzen darf, braucht er dringend einen legitimen Sohn. Deswegen kam ihm das Ableben seines Eheweibs wohl zupass, denn nun kann er eine junge, gesunde Frau heiraten und auf reichen Kindersegen hoffen.« Elsa wiederholte damit nur die Gerüchte, die niemand in der Stadt offen verbreiten durfte, wollte er nicht an den Pranger oder gar in den Kerker kommen.Immerhin gehörte Gürtler dem Hohen Rat an und sein Einfluss war beinahe schon so groß wie der von Bürgermeister Laux.
Tilla schüttelte es. Gürtlers erste Frau war ein blasses, schwächliches Geschöpf gewesen, das er auf Drängen seines Vaters geheiratet hatte, weil sie eine enorme Mitgift in die Ehe brachte. Erst mit ihrem Geld hatten Vater und Sohn Gürtler das Handelshaus zum drittgrößten der Stadt ausbauen können. Nun ruhte Gisberta
Weitere Kostenlose Bücher