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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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außer seinen Kindern nur zwei Mägde als Mitbewohnerinnen geduldet. Im Wohngebäude des Gürtler-Anwesens aber lebten außer dem Hausherrn selbst noch seine zwei verwitweten Schwestern mit ihren Kindern und dazu etliche Knechte und Mägde. Otfried gefiel die Unruhe. So viele dienstbare Geister, wie hier herumliefen, würde er demnächst ebenfalls um sich versammeln.
    Der Kaufherr erwartete ihn in seinem Kontor, einem großen, holzgetäfelten Raum mit einer doppelten Tür, damit Lauscher auf dem Flur nicht hören konnten, was im Innern gesprochen wurde. Dahinter befand sich genauso wie im Willinger-Haus eine kleinere Kammer, in der Gürtler seine Geschäftspapiere, seine Geldtruhe und ein paar Warenproben aufbewahrte.
    Der Kaufherr begrüßte Otfried freundlich und musterte ihn dann verblüfft. Nach dem gestrigen Abend hatte er erwartet, dass sein junger Freund bebend und voller Angst zu ihm käme. Doch Otfried wirkte so gelöst, als sei sein Vater nach einem langen, erfüllten Leben mit den Sterbesakramenten versehen in die ewige Seligkeit eingegangen und hätte ihm vorher noch seinen Segen gegeben. Gürtler bleckte die Zähne. Wie es aussah, würde er seinen Gast bei gegebenem Anlass an seine Mitschuld an Eckhardt Willingers Tod erinnern müssen. Im Grunde war Otfried sogar der Hauptschuldige, denn er hatte ihn um Hilfe gebeten, und auf andere Weise hätte das Problem nicht gelöst werden können.
    Mit einer knappen Kopfbewegung brachte Gürtler seinen Neffen dazu, ihn mit dem Gast allein zu lassen. Er schloss eigenhändig die beiden Türen und legte die Riegel vor. Doch auchdas schien ihm nicht sicher genug zu sein, denn er winkte Otfried, ihm in die Geldkammer zu folgen.
    »Lass dich beglückwünschen, mein Freund. Die Spatzen pfeifen bereits von den Dächern, dass du der neue Herr im Hause Willinger bist.« Gürtler streckte Otfried die Hand entgegen, die dieser mit festem Druck ergriff.
    »So ist es. Ich wollte nicht versäumen, dich persönlich zum Begräbnis und zum Leichenschmaus einzuladen.«
    War das eine gut versteckte Provokation, fragte Gürtler sich, mit der Otfried ihn an das erinnern wollte, was gestern geschehen war? Mit einem Mal überkam ihn das Gefühl, sein Freund könne doch nicht ganz so harmlos und leicht zu lenken sein, wie er es sich vorgestellt hatte.
    »Natürlich werde ich kommen.« Seine Stimme klirrte leicht, doch Otfried achtete nicht darauf, denn er war zu begierig, in Gürtlers Geheimnisse eingeweiht zu werden. Für sich selbst hatte er beschlossen, sich so zu dem Tod seines Vaters zu stellen, als wäre dieser vom Fieber dahingerafft worden. Fröhlich sah er Gürtler an und deutete dann mit der Hand in die Richtung, in der man durch das kleine, mehrfach vergitterte Fenster den Turm des Rathauses erkennen konnte.
    »Die Ratsstimme der Familie Willinger steht nun zur Disposition. Daher will ich wissen, was du mir bieten willst, um sie für dich zu gewinnen.«
    Otfrieds Gelassenheit beunruhigte Gürtler. Er verkniff sich aber jegliche Bemerkung, griff in eine der Truhen und nahm eine etwa unterarmlange Kassette aus Eisenblech heraus. Als er sie öffnete, sah Otfried zuoberst ein mehrfach gesiegeltes Pergament liegen. Gürtler reichte es seinem jungen Freund und beobachtete ihn dabei scharf.
    Dieser warf einen Blick darauf und zuckte zurück. »Du willstdich dem Bayernherzog unterwerfen? Bei Gott, das ist Hochverrat!«
    »Zähme deine Zunge, du Narr! Oder willst du es gleich vom Ratsbalkon hinabschreien?« Gürtler ärgerte sich, das Pergament gezeigt zu haben, ohne ihn auf seinen Inhalt vorzubereiten.
    Unterdessen hatte Otfried sich in den Text vertieft. Nun nickte er mehrmals und schnalzte anerkennend. »Jeder der Ratsherren, die dafür sorgen, dass der Beschluss gefasst wird, Tremmlingen dem Schutz des Bayernherzogs Stephan zu unterstellen, erhält die erbliche Ritterwürde und ein Mitanrecht auf den Besitz derjenigen, die sich dem Spruch der Ratsmehrheit widersetzen.«
    »Wie du siehst, zeigt Herzog Stephan sich sehr großzügig. Er verzichtet auf jeden Anteil an den zu beschlagnahmenden Vermögen, und sein Emissär, Freiherr Georg von Kadelburg, begnügt sich ebenfalls mit einer kleinen Summe.«
    Die kleine Summe umfasste mehrere tausend Gulden, doch da weder Gürtler noch Otfried sie aus ihrer eigenen Tasche zahlen mussten, ließ dieser Umstand sie kalt. Das Geld würde dem Vermögen von Koloman Laux und einigen anderen Mitgliedern des Hohen und des Allgemeinen Rates entnommen

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