Die Pilgerin
sie mit gekünstelt tiefer Stimme.
»So viel ist nicht drinnen«, antwortete Elsa, zuckte ein wenig zusammen und blickte auf. Sichtlich überrascht öffnete sie den Mund, ließ sich aber kein Wort entschlüpfen, wohl aus Angst vor Otfrieds Bütteln. Auch sonst wusste die Alte sich zu beherrschen, denn sie tat so, als wolle sie weitergehen.
»Komm, lass mich deinen Korb tragen!« Tilla fasste danach und schaute hinein. Auch eine alte Frau, die alleine lebte, konnte mit seinem Inhalt keine ganze Woche bis zum nächsten Markttag auskommen. Als sie Elsa genauer betrachtete, fand sie, dass diese in den anderthalb Jahren arg dünn geworden war und abgehärmt wirkte. Es musste ihr in der Zwischenzeit viel schlechter gegangen sein als früher.
Das bewies auch ihr Häuschen, dessen Tür gerichtet oder besser noch erneuert hätte werden müssen. »Einer der Büttel hat im Suff dagegen getreten und ich habe nicht das Geld, sie machen zu lassen«, erklärte sie, als sie Tillas fragenden Blick bemerkte.
Früher hatten die Nachbarn einander geholfen und kleinere Reparaturen umsonst gemacht, also musste in dieser Stadt mehraus dem Lot gegangen sein als nur die politische Lage. Noch während sie sich fragte, wie es in so kurzer Zeit dazu hatte kommen können, sprach Elsa so laut weiter, dass die Nachbarn es hören konnten. »Natürlich kann ich Euch heute Nacht Obdach geben, junger Herr. Ein paar Pfennige verdient man sich immer gern.«
Tilla sah im gleichen Moment einen der Stadtbüttel vorbeilaufen und musste ein Grinsen unterdrücken, denn die alte Frau war immer noch so gewitzt wie früher. Es fiel gewiss nicht auf, wenn ein wandernder Scholar Unterkunft bei einer armen Witwe suchte, da Herbergen zu teuer für seine schmale Börse waren. So folgte sie Elsa ins Haus und sah zu, wie ihre Freundin die Tür mehr schlecht als recht ins Schloss drückte.
Auf Elsas Wink stieg sie die Treppe hoch in deren Schlafkammer und wartete, bis diese ihr gefolgt war. Doch ehe sie den Mund aufmachen konnte, bedeutete die Freundin ihr zu schweigen. »Wir müssen sehr leise sein! Manchmal legen die Büttel ihre Ohren an Türen und Fenster, um zu lauschen. Dieses Gesindel verdient sich ein Extrageld als Zuträger, und man ist nirgends mehr sicher. Doch jetzt lass dich anschauen. Bist du es wirklich? Es hieß, du wärest tot!«
Tilla bleckte die Zähne. »Das hätte mein Bruder wohl gerne! Doch ich lebe und bin durchaus bereit, ihm in die Suppe zu spucken.«
»Sei leise, Kind! Hier hört selbst der Wind mit.« Elsa fasste nach Tillas Händen und presste sie gegen ihre faltigen Wangen. »Was bin ich froh, dass du gesund zurückgekehrt bist. Als die Nachricht von deinem Tod die Runde machte, habe ich mir schreckliche Vorwürfe gemacht, weil ich dich damals nicht daran gehindert habe, die Stadt zu verlassen.«
»Dann wäre ich gewiss schon tot«, brach es aus Tilla heraus.
Die Alte nickte. »Das könnte gut sein! Ich weiß nicht, ob du es bereits erfahren hast, doch deine Schwägerin lebt nicht mehr. Das arme Ding durfte nicht einmal richtig erwachsen werden. Eure Ilga ist ebenfalls tot. Sie hat sich aufgehängt! Der Arzt Gassner meint, sie hätte es getan, weil er kurz davor gewesen sei, sie als Mörderin zu entlarven. In ihrer Kammer hat man nämlich das Gift gefunden, mit dem sie die arme Radegund umgebracht hat.«
Elsa Heisler schwieg eine Weile, so als überlege sie, welche Neuigkeiten sie ihrem Gast noch zumuten durfte. Dann beugte sie sich vor und zog Tilla so nahe an sich heran, dass diese den warmen Atem ihrer einstigen Kinderfrau auf der Haut spüren konnte. »Ilga soll auch deinen Mann umgebracht haben, denn der Arzt behauptet, bei Gürtler dieselben Symptome gefunden zu haben wie bei dessen Nichte. Wahrscheinlich hat sie Radegund schon damals aus dem Weg räumen wollen und den Falschen getroffen.«
Tilla starrte ihre mütterliche Freundin ungläubig an. »Was hätte Ilga davon gehabt, meine Schwägerin zu ermorden?«
»Das müsstest du doch am besten wissen. Ilga war Otfrieds Bettmagd. Zumindest hat eure Ria mir das erzählt. Dein Bruder hat Ilga bereits benutzt, als euer Vater noch lebte, und auch nach seiner Hochzeit nicht damit aufgehört.«
»Um Radegund tut es mir leid«, sagte Tilla nachdenklich. »Doch wenn Gürtler wirklich durch Ilgas Hand umgekommen ist, so hat die Frau mir damit einen großen Gefallen getan. Nun bin ich Sebastians Weib. Wir haben den Verspruch in Santiago de Compostela getan.«
»Sebastian? Diesen
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