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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sie hätte um ein Haar das Band fahren lassen, mit dem sie die Schatulle an Tilla befestigte.
    »Beeil dich! Ich will die Stadt so rasch wie möglich verlassen«, wies Tilla ihre Kinderfrau zurecht.
    Diese biss die Zähne zusammen, verknotete das Band und trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu betrachten. »Hoffentlich trägt das Ding nicht zu sehr auf.«
    Tilla streifte sich den Talar über und strich ihn glatt. »Wie du siehst, gibt es kaum eine Ausbeulung.« Für sich hoffte sie allerdings, dass den Wachen am Tor nicht auffiel, dass der angebliche Scholar sich an einem einzigen Tag einen Bauch angefressen hatte. Sie verabschiedete sich herzlich von Elsa und verließ daskleine Häuschen mit einer Mischung aus Angst und verwegenem Mut. Innerhalb kurzer Zeit erreichte sie das Stadttor und trat auf die Wachen zu.
    Diesmal waren es andere Männer, die dem vermeintlichen Gelehrten nur einen beiläufigen Blick schenkten, während sie sich über die Vorzüge einer drallen Magd unterhielten, die mit einem Korb Wäsche von den Bleichwiesen zurückkehrte.
    Tilla grüßte die Kerle freundlich, obwohl sie ihnen lieber ins Gesicht geschlagen hätte, und als sie das Tor passiert hatte, musste sie sich zwingen, nicht loszurennen wie ein aufgestörter Hase. Sie schlug einen flotten Wanderschritt ein, der zu ihrer Verkleidung passte, und widerstand dem Wunsch, sich noch einmal umzudrehen. Daher horchte sie nur, ob hinter ihr hastige Schritte, Pferdegetrappel oder Rufe ertönten, die auf Verfolger schließen ließen. Doch der Wind trug ihr nur die normalen Geräusche der Landstraße zu.
    Kaum hatte sie das kleine Wäldchen erreicht, trat eine Gestalt zwischen den Bäumen hervor. Im ersten Augenblick erschrak Tilla, dann aber erkannte sie Sebastian und atmete auf. »Du bist es! Bei Gott, du solltest dich nicht so nahe bei der Stadt herumtreiben. Was ist, wenn man dich sieht?«
    »Glaubst du, ich zeige mich jedem?« Sebastian schien ihr ernsthaft böse zu sein, weil sie ihn einer solchen Unvorsichtigkeit für fähig hielt. Dann aber siegte seine Neugier. »Was hast du erfahren?«
    »Davon später! Jetzt müssen wir erst einmal zusehen, dass wir ins Burgauische kommen. Ich traue Otfrieds Kreaturen zu, sich auch hier herumzutreiben und Wanderer auszurauben.«
    Sebastian begriff, dass die Zustände in Tremmlingen noch schlimmer waren, als Kaifel sie ihnen geschildert hatte, und ging mit langen Schritten neben ihr her. Doch ganz wollte er aufAuskünfte nicht verzichten. »Was ist mit meinem Vater? Hast du etwas über ihn erfahren?«
    Tilla nickte. »Er ist noch am Leben, wird aber im Turm festgehalten. Doch das ist zurzeit noch unsere geringste Sorge. Wir müssen so rasch wie möglich zu Starrheim und uns mit ihm beraten.«
    »Hätte ich Graf Rudolf nicht in Kastilien kämpfen gesehen, würde auch ich ihn für einen Feigling halten. An Mut fehlt es ihm jedoch nicht, nur kaut er auf jeder Entscheidung herum wie auf altem, zähem Rindfleisch.« Sebastian hoffte zwar, dass sie ihren Pilgerfreund zum Eingreifen bewegen konnten, aber gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass er auf seine Hilfe angewiesen war, denn wie Tilla sah er die Gefahr, dass Tremmlingen damit unter die Herrschaft der Habsburger geriet. Allein würden sie ihre Heimatstadt jedoch niemals befreien können.
    Auf ihrem weiteren Weg berichtete Tilla ihm, was sie in der Stadt gesehen und von der alten Elsa gehört hatte. Sebastian knirschte mit den Zähnen, als er erfuhr, dass Otfried sich des Gesindels aus den schlimmen Gassen bediente, um die Einwohner zu tyrannisieren, und kam genau wie Tilla zur Ansicht, dass ihr Bruder von den Bayern benutzt wurde, um ihnen die Stadt in die Hände zu spielen. Sobald das geschehen war, würde er als Sündenbock herhalten müssen und den Kopf verlieren.
    »Vergönnen würde ich es dem Schuft ja!«, rief Sebastian aus.
    »Nur ist es für uns dann zu spät.«
    »Vielleicht hilft uns das hier, Starrheim und mit ihm Habsburg auf unsere Seite zu bringen!« Tilla klopfte dabei gegen ihren Bauch. Das blechern klingende Geräusch ließ Sebastian die Ohren spitzen.
    »Du hast die Schatulle herausgeholt! Aber war das nicht ein zu großes Risiko für die paar Verträge?«
    Auf Tillas Lippen spielte ein selbstzufriedenes Lächeln. »Otfried hätte mich nicht so lange verfolgen lassen, wenn es nur um den Heiratsvertrag und vielleicht auch um das neue Testament unseres Vaters gegangen wäre. Hier muss mehr drinnen sein. Der erste große Feind

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