Die Pilgerin
durch eines der anderen Tore hinauszuschleichen. Wir kennen dich und werden es dich beim nächsten Markttag ausbaden lassen!« Der Söldner trat beiseite und ließ den hilflos vor sich hin murmelnden Bauern durch.
Tilla begriff, dass die Wachen sich auf diese Weise ein Zubrotverdienen wollten, und konnte gerade noch verhindern, dass sie den Kopf schüttelte. Auf diese Weise verscheuchten sie nur die Leute, die zum Markt kamen, denn die würden sich in Zukunft einen anderen Platz suchen, um zu kaufen und zu verkaufen. Ihr Bruder war ein Narr, sich mit solch einem Gesindel einzulassen.
»Der Nächste!«
Tilla war an der Reihe. Sie trat beherzt auf den Söldner zu, zauberte eine kleine Münze in die Hand und steckte sie ihm zu. Das schien dem Mann genug zu sein, denn er befragte sie nicht nach ihrem Woher und Wohin, sondern winkte sie sofort durch. »Kann passieren!«
Aufatmend ging Tilla an den Wächtern vorbei, fand sich gleich darauf in dem Gassengewirr wieder, das sie von Kindheit an kannte, und schritt in Richtung Markt. Dort fiel ihr sofort auf, um wie viel schlechter der Platz besucht war als früher. Die Leute, die sonst fröhlich miteinander geredet hatten, drückten sich stumm und scheu an den eng stehenden Buden und Ständen vorbei und versuchten, Otfrieds Söldnern und den einheimischen Bütteln in weitem Bogen aus dem Weg zu gehen. Die Gesichter der Letzteren kamen Tilla bekannt vor. Es handelte sich tatsächlich um Gesindel aus den schlimmen Gassen, welches zu Koloman Laux’ Zeiten die Latrinen der Stadt hatte leeren dürfen, um den Inhalt auf die Felder hinauszukarren. Jetzt stolzierten sie in ledernen Harnischen und mit dem Wappen der Stadt auf der Brust über den Markt und versetzten den Leuten, die ihnen zu nahe kamen, Schläge mit den Schäften ihrer Hellebarden.
Mit den Bütteln aus Laux’ Zeit hatten diese Kerle nichts mehr gemeinsam. Jene hatten für Ordnung gesorgt, so dass auch ein altes Mütterchen in Ruhe einkaufen konnte. Die jetzigen Büttelhingegen führten sich selbst wie Rabauken auf. Eben schlug einer von ihnen einer Frau im abgetragenen dunklen Kleid den Einkaufskorb aus der Hand und lachte schallend, als sich dessen Inhalt auf die Pflastersteine ergoss. Tilla knirschte mit den Zähnen, denn sie hatte in der Alten Elsa Heisler erkannt.
Ihre einstige Kinderfrau presste die Lippen zusammen, damit ihr kein Wort entfuhr, welches ihr nur weitere Schläge eingebracht hätte, und suchte mühsam ihre Sachen zusammen. Eine jüngere Frau, die Tillas Erinnerung zufolge als Magd im Hause Schrimpp arbeitete, half ihr dabei, ohne die lachenden Kerle um sich herum auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Es ist eine Schande, wie die sich aufführen«, flüsterte sie der alten Elsa zu. »Man schämt sich direkt, im selben Haus zu wohnen wie der Kommandant dieser herrlichen Schar.«
»Sei still, sonst bekommst du Prügel, obwohl du zu Schrimpps Haushalt gehörst«, warnte die Alte sie. »Aber Recht hast du!« Die beiden Frauen erhoben sich wieder und die Magd fuhr einen der Kerle an. »Mach Platz!« Dieser hatte Elsa Heisler grinsend den Weg versperren wollen und hielt den Stiel seiner Hellebarde dabei so, als sei er darauf aus, der alten Frau ein Bein zu stellen. Doch bei den scharfen Worten der Magd trat er unwillkürlich zurück.
Elsa war zwar zeit ihres Lebens arm gewesen, doch das war ihre einzige Gemeinsamkeit mit den Bewohnern der schlimmen Gassen, die von Gelegenheitsarbeiten und kleineren Diebereien lebten. Kein vernünftiger Bürger hatte jemals einen Angehörigen dieser Familien ins Haus gelassen, sondern sie, wenn sie doch einmal gebraucht wurden, an der Tür abgefertigt. Jetzt zahlten die Büttel jene Missachtung den Bewohnern der anderen Viertel zurück und machten dabei vor niemand Halt. Sie nahmen sich Obst und Würste, langten mit fettigen Händenfeine Stoffe an und forderten den Weinwirt auf, ihnen einzuschenken. Ans Bezahlen aber dachten sie dabei nicht.
Während Tilla scheinbar interessiert über den Markt schlenderte und nach einer Gelegenheit suchte, Elsa unauffällig ansprechen zu können, behielt sie die Büttel scharf im Auge. Erleichtert stellte sie fest, dass diese sich nun am Stand des Weinhändlers sammelten und den Marktbesuchern keine Beachtung mehr schenkten. Rasch eilte sie zwischen den Ständen hindurch in die Richtung, in der Elsa Heislers Häuschen lag, und holte die Alte nach kurzer Zeit ein.
»Ist dir dein Korb nicht etwas zu schwer, gute Frau?«, fragte
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