Die Pilgerin
deines Vaters war Veit Gürtler. Otfried ist erst nach dem Tod meines ersten Mannes ins Spiel gekommen.«
Sebastian blieb stehen, als wäre er gegen einen Baum gerannt. »Richtig! Hattest du nicht gesagt, die Schatulle hätte Gürtler gehört?«
»Genau das! Mein Bruder hat sie gleich nach dessen Tod an sich genommen, als wolle er nicht, dass irgendjemand anders das Ding öffnet und entdeckt, was Gürtler darin versteckt gehalten hat.« Tilla klopfte noch einmal gegen das Eisenblech und sehnte den Augenblick herbei, in dem sie die Kassette endlich aufbrechen konnte.
Sebastian hätte am liebsten auf der Stelle versucht, sie mit seinem Dolch zu öffnen, doch ein Reiter, der im gemütlichen Trab langsam zu ihnen aufschloss, ließ ihn davon absehen. Der Mann erreichte sie und ritt an ihnen vorbei, ohne sie zu grüßen.
»Ungehobelter Kerl«, sagte Sebastian mürrisch.
Tilla drehte abwägend die Hand. »Wenn mich nicht alles täuscht, war das ein Gefolgsmann des Landpflegers von Burgau. Den habe ich schon in Tremmlingen gesehen. Irgendwie glaube ich nicht, dass der Mann zufällig in dieser Gegend weilt!«
Wie Recht Tilla hatte, merkten sie im ersten Dorf jenseits der Grenze. Der Burgauer Dienstmann hatte dort angehalten und wartete mit mehreren Berittenen und zwei zusätzlichen Pferden auf sie.
»Mit den besten Empfehlungen des Grafen Starrheim!«, erklärte er und drängte das Paar aufzusteigen. Wie es aussah, schienensich die Amtsleute, die für die Herzöge von Österreich die Markgrafschaft verwalteten, stärker für Tremmlingen zu interessieren, als Tilla und Sebastian erwartet hatten.
III.
Beim Weiler Binswangen trafen sie auf Rudolf von Starrheim, zu dem sich der Landpfleger und der Vogt von Burgau gesellt hatten. Die Männer wirkten sehr angespannt.
»Seid Ihr wirklich der Sohn des Bürgermeisters Laux?«, fragte der Landpfleger Sebastian.
Dieser nickte. »Der bin ich.«
»Das ist gut! Dann können wir endlich etwas gegen dieses Gesindel unternehmen, das sich in Tremmlingen breit gemacht hat und auf Burgauer Land Handelszüge überfällt.«
Starrheim hob die Hand. »Die Bedingung ist, dass wir keine neue Fehde mit Herzog Stephan heraufbeschwören. Meine herzoglichen Verwandten verhandeln derzeit mit ihm über einen langen Frieden.«
Die beiden Habsburger Beamten bliesen ärgerlich durch die Nase, denn sie hätten die Sache am liebsten mit einem scharfen Schnitt geklärt, und sie hielten den Grafen offensichtlich für einen argen Zögerer. Doch auch sie durften nichts unternehmen, was den Wünschen ihrer habsburgischen Oberherren zuwiderlief.
Tilla und Sebastian wurden in das Haus gebeten, in dem die Beamten Unterkunft gefunden hatten. Man ließ ihnen jedoch keine Zeit, sich frisch zu machen oder etwas zu essen, sondern forderte sie auf, alles zu berichten, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Zu aller Überraschung zog Tilla ihren Talar aus und präsentierte sich ihnen im Hemd.
»Wickle das Band ab«, forderte sie Sebastian auf.
Dieser tat es und stellte kurz darauf die Schatulle auf den Tisch. Während Tilla wieder in den Talar schlüpfte, versammelten sich die vier Männer um die von Tilla mitgebrachte Kassette.
»Ihr müsst das Ding aufbrechen. Den Schlüssel besitzt mein Bruder.«
Bevor ein anderer etwas unternehmen konnte, zog der Landpfleger sein Schwert, presste die Spitze gegen den Schlitz zwischen Deckel und Kasten und brach sie auf. Dünn geschabte Pergamentblätter und graue Papierbogen stoben auf und verteilten sich auf dem Boden der Kammer. Sebastian sammelte sie ein und legte sie auf den Tisch.
Starrheim hatte ein mehrfach gesiegeltes Pergament aufgefangen und las es mit steigender Erbitterung durch. Als er fertig war, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das reicht! In diesem Schreiben verspricht Herzog Stephan einem gewissen Veit Gürtler den erblichen Adelsrang, wenn er ihm die Stadt Tremmlingen ausliefert. Dies ist gegen jedes Recht und wird Seiner Majestät, Kaiser Karl IV., mit Sicherheit nicht gefallen. Wenn wir ihm diese Urkunde vorlegen, wird er darauf dringen, dass der Bayer die Stadt wieder freigibt.«
»Damit wäre die Sache wohl geklärt.« Der Landpfleger schien mit dieser Lösung zufrieden zu sein.
Tilla aber fuhr auf. »Und wie lange wird das dauern, bis der Kaiser sein Wort erhebt und der Bayer gehorcht? Ein Jahr, zwei Jahre? Oder gar zehn? Ich will nicht, dass unsere Leute noch so lange unter Otfrieds Tyrannei leiden müssen.«
»Ich auch nicht«,
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