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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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dunkelgraues Gewand, das bis zum Hals reichte und vorne durchgehend mit gleichfarbenen Bändern geschlossen wurde. Sie legte es auf ihr Bett und begann, sich zu waschen. Gegen ihre eigene Überzeugung hoffte sie, die erwarteten Gäste könnten Bürgermeister Laux und seine Söhne sein oder einer der anderen Ratsherren mit seiner Familie. Da Otfried das Recht zustand, den Ratssitz ihres Vaters einzunehmen, musste er ein gutes Einvernehmen mit den Spitzen der Tremmlinger Gesellschaft suchen.
    Ihr Verstand sagte ihr jedoch, dass es sich um Gürtler handeln würde, denn sonst hätte ihr Bruder sie nicht einschließen lassen. Dem Mann würde sie endgültig klarmachen, dass er bei ihrnichts zu erhoffen hatte. Mit diesem Vorsatz zog sie sich an und wartete, bis jemand kam, um die Tür zu öffnen.
    Sie wusste nicht, wie lange sie still auf der Kante ihres Bettes gesessen hatte, als Lärm von unten drang. Sie vernahm, wie Otfried mit betonter Fröhlichkeit die erschienenen Gäste begrüßte, und lachte bitter auf, als Veit Gürtler ihm antwortete. Er schien noch andere Leute mitgebracht zu haben, denn sie konnte zwei Frauenstimmen ausmachen und den dröhnenden Bass eines Mannes, der von eingebildeter Wichtigkeit zu platzen schien, denn er nannte Otfried seinen Sohn.
    Irritiert schüttelte Tilla den Kopf. Eine solche Anrede stand eigentlich nur einem Geistlichen zu, doch es handelte sich nicht um Vater Eusebius. Dieses Rätsel würde sich wohl erst lösen, wenn man sie aus ihrer Kammer befreit hatte. Einen Augenblick später vernahm sie Schritte auf der Treppe.
    »Tilla, bist du fertig?« Es war ihr Bruder. Sie blies die Luft aus den Lungen und bleckte die Zähne. »Du kannst aufmachen!«
    Der Riegel wurde zurückgezogen, und als die Tür aufschwang, sah sie Otfried mit einer so selbstzufriedenen Miene draußen stehen, dass es sie anwiderte. Mehr noch ärgerte sie sich über seinen Aufzug, denn er trug ein Gewand, das sich wahrlich nicht für einen Mann ziemte, der gerade erst seinen Vater verloren hatte. Zu rot-grün gestreiften Strümpfen hatte er ein besticktes Wams aus hellblauem Damast angezogen und eine Lächerlichkeit von einem Hut in der gleichen Farbe aufgesetzt. Beim Anblick seiner schlicht gekleideten Schwester rümpfte er die Nase, sagte aber nichts, sondern wies nach unten.
    »Veit Gürtler ist heute Abend unser Gast, zusammen mit seinen Schwestern, deren Söhnen und Töchtern und dem hochehrwürdigen Herrn Martin Böhdinger, Pfarrherr von Sankt Wendelin zu Ammershausen.«
    »Wenn du all diese Leute zu Gast geladen hast, warum hast du mich dann einschließen lassen? Nun habe ich nichts vorbereiten können!« Tillas Blick verriet Otfried, dass sie ihm diese Behandlung nicht so rasch verzeihen würde.
    Ihr Bruder lächelte jedoch nur selbstzufrieden. »Komm mit!«
    Mit einem Seufzer fragte Tilla sich, wie sie einen ganzen Abend in der Gesellschaft der Gürtler-Sippe überstehen sollte, folgte ihm aber schon aus reiner Gewohnheit. Unten stellte sie fest, dass die Gäste sich so feierlich gekleidet hatten, als wären sie auf dem Weg zum sonntäglichen Kirchgang. Der Geistliche war im vollen Ornat erschienen, mit roter Kasel und Stola über der bodenlangen weißen Dalmatika; Gürtler selbst hatte einen langen, halb durchgeknöpften Überrock aus rötlich schimmerndem Damast und ein dunkles, gemustertes Untergewand angelegt. Seine beiden Schwestern glichen in ihren Roben aufgeplusterten Hennen, und das Älteste der beiden Mädchen, ein pummeliges Ding mit brünetten Haaren und blassen Augen, brach unter der Last seines kostbaren Gewandes beinahe zusammen.
    Noch bevor Tilla ein Grußwort sagen konnte, trat Gürtler auf sie zu und ergriff ihre Hand. »Dein Bruder wird dir gewiss schon gesagt haben, zu welchem Anlass wir uns eingefunden haben.«
    Otfried rollte verzweifelt mit den Augen, um anzudeuten, dass Tilla noch nichts von ihrer Abmachung wusste. Gürtler ging jedoch nicht darauf ein, sondern wies auf den Priester. »Das ist mein Verwandter Martin Böhdinger, ein Pfarrherr. Er wird den Trausegen über uns sprechen.«
    »Trausegen?«, platzte Tilla heraus. Mit einer heftigen Bewegung streifte sie Gürtlers Hand ab und drehte sich zu ihrem Bruder um. »Was soll das bedeuten?«
    »Du wirst noch heute mein Weib, so wie meine Nichte Radegunddas deines Bruders wird. So haben wir es geschrieben und besiegelt«, antwortete Gürtler an Otfrieds Stelle, während dieser vorsichtshalber zwei Schritte zurückwich.
    Tilla

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