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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Pfarrherrn, annehmen und eine Laufbahn als Geistlicher einschlagen sollte. Zwar würde er dabei nicht so reich werden wie ein großer Kaufherr, doch als Priester vermochte er es vielleicht sogar zum Bischof zu bringen.
    Da Veit Gürtler ein guter Beobachter war, blieben ihm die Gefühle seiner Verwandten nicht verborgen. Die Gier nach seinem Erbe, welche Regula und Rigobert, aber auch seine jüngere Schwester Pankratia und deren Söhne unverhohlen zur Schau stellten, hatte seinen Wunsch nach einem eigenen Sohn schon zur Besessenheit werden lassen. Dennoch war seine Wahl nicht auf Tilla gefallen, weil sie jung und gesund war, sondern wegen ihrer hohen Mitgift. Es ärgerte ihn zwar, dass er die Hälfte davon für Radegunds Verheiratung opfern musste, aber auch somachte er noch ein ausgezeichnetes Geschäft und konnte überdies das Haus Willinger samt dessen Freunden und Parteigängern für seine Pläne einspannen. Zufrieden mit sich und der Welt nahm er den Weinpokal entgegen, den Ilga ihm reichte, und trank ihn in einem Zug leer.
    Die junge Magd teilte nun auch an die restlichen Gäste Wein aus und blieb zuletzt vor Radegund stehen. »Gott segne deinen Eintritt in dieses Haus, Herrin!«
    Jedes dieser Worte war eine Qual für Ilga, denn Otfrieds Heirat hatte ihre Hoffnungen jäh zerstört. Nun würde sie ihm auch weiterhin auf der Truhe in der Geldkammer zu Willen sein müssen, während eine andere im weichen Ehebett lag. Bei dem Gedanken huschte ein böses Lächeln über ihre Lippen. Otfried würde schon sehen, was er an Radegund hatte. Dieses Kind würde ihn als Mann gewiss nicht zufrieden stellen können, vor allem nicht in der Brautnacht, denn Ilga hatte ihrem Wein ein kräftiges Schlafmittel beigegeben. Diese Tinktur hatte Gassner dem alten Willinger anmischen lassen, weil der Kranke von wilden Fieberträumen geplagt in der Nacht beinahe stündlich hochgeschreckt war. Ria hatte ihr zwar befohlen, die gesamten Tinkturen und Pülverchen, die der Arzt dem verstorbenen Hausherrn mitgebracht hatte, in den Abtritt zu kippen, aber die Arbeit war ihr lästig gewesen. Erst vorhin, nachdem sie den Schlaftrunk für ihre eigenen Zwecke beiseitegeschafft hatte, hatte sie den Auftrag ausgeführt.
    »Ich danke dir!« Mit kindlicher Stimme nahm Radegund den Becher entgegen und hielt ihn fest.
    Ilga wollte sie auffordern, davon zu trinken, doch Otfried gab ihr einen Schubs. »Geh nach oben und schlage die Laken meines Bettes auf. Ich werde gleich mit meinem Weib nachkommen und die Hochzeitsnacht mit ihr feiern.«
    Radegund kicherte nervös, während Ilga ihren Zorn niederkämpfen musste. Diesen Auftrag hatte Otfried ihr gewiss nur gegeben, um sie zu demütigen. Doch sie würde es ihm und diesem blassen, unscheinbaren Ding, das er zur Frau genommen hatte, gründlich heimzahlen. Sie verließ die Stube, blieb aber hinter der Tür stehen und starrte durch den Schlitz, um zu sehen, ob die Braut endlich trank.
    In dem Augenblick stand Gürtler auf. »Auf das ganze Brimborium, das sonst mit Hochzeiten verbunden ist, können wir verzichten. Die Sänfte für Ottilie steht bereit. Wir können also aufbrechen. Ich will nur noch einen Schluck trinken.« Er hielt durstig Ausschau, doch da ihm niemand frischen Wein brachte, nahm er Radegund den Becher ab. »Ein junges Frauenzimmer wie du sollte noch kein so schweres Getränk anrühren«, erklärte er und leerte den Becher mit wenigen Zügen. Dann packte er Tilla und schob sie auf die Tür zu, ohne auf die hastigen Schritte zu achten, die dahinter aufklangen. »Komm, Weib, unser Ehebett wartet!«
    Seinem harten Griff konnte Tilla nichts entgegensetzen. Sie streifte ihren Bruder mit einem anklagenden Blick, doch der achtete nicht auf sie, sondern fasste die aufquiekende Radegund um die Taille, führte sie ebenfalls auf den Flur und weiter zur Treppe. Seiner Miene nach würde das Mädchen noch in dieser Viertelstunde ihre Jungfernschaft verlieren.
    Nun begriff Tilla, dass dies auch ihr Schicksal sein würde, und sie versteifte sich unwillkürlich. Im selben Augenblick schlug Gürtler erneut zu. »Du hast mir zu gehorchen!«
    Tilla biss die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien, denn diesen Triumph wollte sie dem Mann nicht gönnen. Doch ihren Tränen konnte sie nicht Einhalt gebieten. Mit vom Weinen verschleierten Augen stolperte sie hinter ihm herund fragte sich verzweifelt, warum ihr Schicksal diese Wendung hatte nehmen müssen. Draußen stopfte Gürtler sie wie ein Bündel Lumpen

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