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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Lebensende beherrschen würde.

VII.
    Tilla saß in der Kammer, die man ihr im Hause Gürtler zugewiesen hatte, und suchte aus den Truhen, die Otfried ihr hatte bringen lassen, jene Kleider heraus, die sie während der Trauerzeittragen konnte. Dabei kämpfte sie immer wieder mit den Tränen, die ebenso ihrer eigenen Situation galten wie den Albträumen, die sie Nacht für Nacht heimsuchten und in denen das Flehen ihres Vaters sie verfolgte.
    »Heilige Jungfrau Maria! Warum erscheint er mir und nicht Otfried? Das wäre doch viel wirksamer. Ich kann meinen Bruder nicht zwingen, seine Pflicht zu erfüllen!« Der verzweifelte Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte Tilla, und sie fragte sich, ob sie wirklich bereits verrückt war, wie die beiden Schwestern ihres toten Ehemanns es behaupteten.
    Sie lebte nun seit einer guten Woche im Haus ihres verstorbenen Gatten und wusste, dass sie hier so willkommen war wie eine Rotte Mäuse in der Speisekammer. Als Veit Gürtlers Witwe und Zweiterbin nach Radegund, der Frau ihres Bruders, galt sie offiziell als Hausherrin, und das erboste vor allem Regula Böhdinger. Doch auch Pankratia sah sie nicht als mögliche Verbündete an, sondern als einen Eindringling, der ihr und ihren Kindern das Brot vom Munde weg stahl.
    Auch jetzt vernahm Tilla wieder die hasserfüllten Stimmen der beiden Schwestern, die sich mit Hochwürden Böhdinger und Rigobert im Hausflur unterhielten.
    »Ich sage euch, es ist eine Schande, dass dieses Weibsstück für die eine Nacht, die sie mit meinem Bruder das Bett geteilt hat, ein solches Vermögen erbt, während meine arme Schwester und ich leer ausgehen! Schließlich haben wir für unsere Kinder zu sorgen!« Pankratias Stimme triefte vor Hass.
    »Es ist wie ein Hurenlohn, denn ein Zusammenleben als Mann und Frau kann ich das wirklich nicht nennen!«, ergänzte der Pfarrherr ihren Ausbruch.
    Auch Rigobert ließ sich jetzt vernehmen. »Der Teufel soll Tilla holen und ihren verdammten Bruder dazu. Wisst ihr, wie derKerl mich behandelt? Ich soll ihm helfen, das Vermögen zu verwalten, hat er gesagt. Doch ich darf nur Listen abschreiben und Knechte beaufsichtigen, als sei ich einer seiner Kommis, bekomme dafür aber weniger Lohn, als der Onkel mir Taschengeld gegeben hat. Am liebsten würde ich ja Onkel Böhdingers Vorschlag annehmen und Geistlicher werden. Schlechter kann es mir als Kooperator oder Priester einer einfachen Landpfarre auch nicht gehen.«
    »Ich bin mir sicher, dass es bei Veits Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Er war doch ein gesunder, kräftiger Mann in den besten Jahren«, warf seine Mutter düster ein.
    »Meinst du, es war Gift im Spiel?«, fragte der Pfarrherr aufgeregt.
    »Ich kann es nicht beweisen. Wenn sie es bei sich hatte, dann war es gut verborgen. Ich habe Veits Zimmer und all ihre Sachen danach durchsucht.« Pankratia seufzte, denn wenn sie Tilla als Giftmischerin hätten hinstellen können, wäre der Zugriff auf deren Erbteil möglich gewesen.
    Rigobert fluchte unbeherrscht und verstieg sich zu Drohungen. »Irgendwie muss es uns gelingen, an das Geld dieses Weibsstücks zu kommen, und wenn ich es dafür umbringen muss!«
    »Narr!«, fuhr der Pfarrherr seinen Neffen an. »Wenn Tilla stirbt, erhält der Bruder ihren Anteil. Dann gehört ihm beinahe das gesamte Handelshaus Gürtler und er kann schalten und walten, wie er will, ohne dass wir ihn daran hindern können.«
    »Man müsste Tilla als Giftmischerin entlarven oder als Hexe anzeigen.« Regula führte ihre Pläne wohl noch weiter aus, doch Tilla konnte sie nicht mehr verstehen, da die Gruppe in einen der Räume unten trat und die Tür hinter sich schloss.
    Verständnislos griff sie sich an den Kopf. Was dachten sich diese Leute dabei, vor ihren Ohren laut darüber nachzudenken, wie man sich ihrer entledigen konnte? War Rigobert Böhdinger wirklichbereit, sie zu ermorden, nur um ein paar Gulden mehr als Erbteil zu erhalten? Nein, sagte sie sich. Das Jüngelchen stellte eine eher geringe Gefahr für sie dar. Anders war es jedoch mit der Mutter und deren Schwager, dem Pfarrherrn. Martin Böhdinger besaß ein großes Wissen und war nicht ohne Einfluss. Wahrscheinlich sollte das ganze Gerede nur dazu dienen, sie mehr und mehr auf jene Grenze zuzutreiben, hinter der der Wahnsinn begann. Tat sie erst einmal Dinge, die andere Menschen als nicht normal erachteten, würde es Gürtlers Anverwandten durchaus möglich sein, sie in jenen Kerker sperren zu lassen, in denen die

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