Die Pilgerin
Wittum zusteht. Sollte die Ehe kinderlos bleiben, erbt meine Ehefrau Radegund die Hälfte des Gesamtvermögens, während das letzte Viertel unter seine übrigen Verwandten aufgeteilt wird. Bevor wir dies jedoch tun können, müssen wir erst abwarten, ob der Samen meines Schwagers Früchte trägt. Da ich als Vormund meiner Schwester deren Erbteil verwalte und meiner Frau die Anwartschaft über einen weiteren Teil des Vermögens zusteht, bin ich es, der von nun an die Geschäfte des Hauses Gürtler führen wird!«
Martin Böhdingers Gesicht nahm eine dunkle Färbung an. »Das lasse ich nicht zu!«
»Ihr werdet nichts daran ändern können, denn so ist es niedergelegt und gesiegelt.« Otfried wies auf den entsprechenden Passus des Vertrags und wollte diesen wieder in die Schatulle legen, als seine Schwiegermutter ihn am Handgelenk packte und nach den Blättern greifen wollte.
»Ich zerreiße diesen Schandfetzen, der mich und meine restlichen Kinder zu einem Hungerleben verurteilt.«
Otfried gab ihr einen Stoß, der sie quer durch den Raum trieb und gegen die Wand prallen ließ. Dann legte er seine Hand auf den Griff des Dolches, den er als Schutz gegen allerlei Gesindel am Gürtel trug. »Ich werde mein Recht ebenso wie das meiner Frau und meiner Schwester zu wahren wissen!«
Böhdingers Blick wurde unterdessen von einem sorgsam gefalteten Pergament angezogen, das sich ebenfalls in der Schatulle befand und an dem mehrere Siegel hingen. »Was ist das? Gebtes her! Vielleicht hat mein Schwager hier ganz andere Verfügungen über sein Vermögen getroffen.«
Als er zugreifen wollte, klopfte Otfried ihm ungeachtet seines geistlichen Standes wie einem unartigen Kind auf die Finger.
»Diese Unterlagen gehen Euch nichts an!«
»Also ist es etwas Wichtiges?«, rief sein Schwager Rigobert aus.
Otfried gönnte ihm keine Antwort, sondern verstaute die beiden Eheverträge wieder in der Kassette und klemmte sich diese unter den Arm. Sein Gesicht wirkte gleichmütig, doch in seinem Innern brodelte es, denn beinahe hätten Böhdinger und seine Sippschaft den geheimen Pakt mit dem Bayernherzog zu Gesicht bekommen – und das in einer mehr als heiklen Situation. Wenn auch nur das Geringste davon bekannt wurde, dass Gürtler und seine Verbündeten, zu denen auch er zählte, die Stadt Tremmlingen an das Herzogtum Oberbayern übergeben wollten, war ihr Leben keinen roten Heller mehr wert. Noch verfügte Laux über eine Mehrheit im Hohen Rat und damit die Herrschaft über die Stadtbüttel und die Bürgerwehr.
»Es handelt sich um einen Geschäftsvertrag, den ich mit dem Toten und einigen Freunden abgeschlossen habe und der uns reichen Verdienst bringen wird. Doch er darf nicht bekannt werden, um die Konkurrenz nicht darauf aufmerksam werden zu lassen.« Otfried bemühte sich, gelassen zu klingen.
Gleichzeitig suchte er Augenkontakt mit Rigobert. »Du bist der älteste Neffe meines Schwagers und als Radegunds Bruder ebenfalls mein Schwager. Daher ist es wohl recht und billig, wenn du mich bei der Führung des Handelshauses Gürtler unterstützt.«
Der junge Bursche wuchs um einen ganzen Zoll, denn von Otfried hoffte er mehr Geld zu erhalten, als sein geiziger Onkelihm zugemessen hatte. Böhdinger begriff, dass ihm ein Verbündeter zu entgleiten drohte, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Auch Regula schien sich mit der entstandenen Situation auszusöhnen. Immerhin würden ihre Tochter Radegund und später einmal deren Kinder die Hauptnutznießer sein, und sie würde schon dafür sorgen, dass auch Rigobert und die zehnjährige Chlorinde auf ihre Kosten kamen.
Regulas Schwester Pankratia war alles andere als zufrieden und sie atmete sichtlich auf, als ein verwirrter Diener hereinkam und meldete, dass Bürgermeister Laux und der Hohe Ratsherr Matthias Schrimpp Einlass begehrten.
Otfried zuckte für einen Augenblick zusammen, dankte dann aber dem Schicksal, das ihn vor Laux in dieses Haus geführt hatte. Dieser hätte gewiss die geheime Schatulle des Toten entdeckt und öffnen lassen, um darin nach einem Testament zu suchen. Dabei wäre ihm der Vertrag mit Bayern nicht entgangen, und die Verschwörer hätten sich ohne Vorwarnung im Kerker wiedergefunden. Um zu verhindern, dass Laux das Öffnen der Schatulle befehlen und dabei auch den Geheimpakt entdecken konnte, entnahm Otfried ihr die beiden mit Gürtler geschlossenen Eheverträge und sah der Begegnung mit dem Bürgermeister mit einer gewissen Anspannung entgegen.
Laux betrat
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