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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Anspannung, Angst und innerer Kälte in der kleinen Küche und bemühte sich, ein klares Wort herauszubringen. Sie wollte Elsa schon berichten, dass sie Otfried in Verdacht hatte, ihren Vater ermordet zu haben, schluckte die Worte jedoch wieder herunter, um ihre Freundin nicht auch noch damit zu belasten. Elsa hätte gewiss nicht den Mund gehalten, und in dieser Stadt fand sich eine Frau ihres Standes rasch am Pranger wieder, wenn sie einen der hohen Herren verleumdete. Außerdem lag es nicht in Tillas Absicht, Otfried zu warnen. Aus diesem Grund beschränkte sie sich auf ihr eigenes Ziel.
    »Ich werde nach Santiago de Compostela wallfahren und dort das Herz meines Vaters begraben. Otfried will es nämlich nicht tun und erfindet immer neue Ausflüchte.«
    Elsa schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Kind, bist du denn vollkommen übergeschnappt? Wie willst du allein eine solch weite Reise überstehen?«
    »Es sind schon andere Frauen dorthin gegangen. Also wird es auch mir gelingen«, antwortete Tilla mit einer wegwerfendenHandbewegung und deutete auf die Schatulle, die sie auf den Tisch gestellt hatte. »In dieser Kassette liegen mein Heiratsvertrag und das Testament meines verstorbenen Mannes. Beides will ich an einem sicheren Ort verwahren, denn ich habe nicht mehr die Zeit, sie zu öffnen. Weißt du ein gutes Versteck?«
    Die Witwe schüttelte zunächst den Kopf, hob dann aber mit listig blitzenden Augen die Hand. »Du kennst doch die lose Steinplatte unter der Treppe. Wenn wir dort ein wenig Erde herauskratzen, müsste der Kasten sicher verwahrt sein. Unter meinem Fußboden wird wohl niemand das Ding vermuten.«
    Tilla war sich da nicht ganz so sicher, hatte aber keinen besseren Vorschlag. »Leuchte mir!«, befahl sie Elsa und machte sich an die Arbeit. Während sie die lose Platte entfernte und eine kleine Grube aushob, unterhielt sie sich mit ihrer alten Freundin über die geplante Pilgerreise.
    »Versteh mich recht, Elsa. Ich muss fort aus dieser Stadt, denn die Verwandten meines Mannes wollen mich in den Wahnsinn treiben. Sie hassen mich und würden mich am liebsten tot sehen, und mein Bruder hält eher zu ihnen als zu mir.«
    Die Alte nickte. »Otfried erzählt überall herum, du wärst nicht mehr bei Sinnen.« Leiser Zweifel schwang in ihrer Stimme, denn so, wie Tilla sich aufführte, benahm sich tatsächlich keine brave junge Witwe.
    »Also verstehst du, warum ich die Stadt verlassen muss.« Tilla entfernte einen losen Bruchstein und glättete die Grube, die ihr nun groß genug erschien. »Reich mir jetzt das Ding!«
    Elsa gab ihr die Schatulle und sah zu, wie Tilla sie versenkte und mit einem Teil der ausgehobenen Erde bedeckte. Als die junge Frau die Bodenplatte wieder an ihren Platz legte, wackelte diese nicht mehr.
    »Jetzt müssen wir nur noch den Dreck und die Steine loswerden,die nicht mehr in das Loch hineingepasst haben«, sagte Tilla zufrieden.
    Um zu verhindern, dass ihre junge Freundin zu dieser Unzeit vor die Tür trat, legte Elsa ihr die Hand auf den Arm. »Ich schütte das Zeug morgen früh in eine der Abfallgruben.«
    »Aber gib Acht, dass niemand dich sieht!«
    »Hältst du mich für dumm? Ich lege keinen Wert darauf, von deinem Bruder vor den Rat geschleppt und verhört zu werden.«
    Tilla strich der sichtlich nervösen Frau tröstend über die Schultern und zog sie an sich. »Danke, Elsa! Das werde ich dir nie vergessen. Nun aber muss ich mich reisefertig machen, denn ich möchte bei Sonnenaufgang unterwegs sein. Ich benötige ein wenig zu essen für die Reise sowie einen Beutel, in dem ich das Herz meines Vaters und meine restlichen Habseligkeiten tragen kann.« »Es bringt nichts Gutes, wenn du davonläufst. Draußen in der Fremde lauern vielerlei Gefahren für eine junge Frau wie dich, und ich will nicht hören müssen, dass dir etwas Schlimmes zugestoßen ist. So manche Frau ist auf ihrer Pilgerreise von bösen Buben hinter die Büsche gezerrt, missbraucht und nicht selten auch umgebracht worden.«
    »Das wird mir nicht passieren! Ich werde in Männerkleidern reisen, denn ich muss die Leute täuschen, die mein Bruder höchstwahrscheinlich hinter mir herhetzen wird.«
    Elsa starrte sie so entsetzt an, als hätte sie direkt vor dem Altar eine Todsünde begangen. »Kind, nein! Das kannst du nicht tun. Ich habe von Pilgern gehört, wie es auf diesen Reisen zugeht. In den Quartieren schlafen die Leute meist nackt und decken sich mit ihren Kleidern zu. Man würde dich also sofort als

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