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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Tasche mit dem Zinnbehälter, in dem sich nun das Herz ihres Vaters befand, fest an ihre Brust.
    »Die Wallfahrt hat begonnen, Vater, und ich schwöre dir, dass ich nicht eher aufgeben werde, bis ich mein Ziel erreicht habe«, sagte sie zwischen dem zweiten und dem dritten Paternoster, das die Gruppe während der langsamen Umrundung des Innenraums betete. Dann fiel sie wieder in den Chor der Übrigen ein.
    Schwaden von Weihrauch zogen durch das Kirchenschiff und hüllten die Gruppe ein wie duftender Nebel. An der Südpforte trat ein Mönch in blendend weißem Habit auf jeden von ihnen zu, sprach ein paar lateinische Worte und zeichnete ihnen mit Weihwasser das Kreuz auf die Stirn. Nach der sommerlichen Hitze draußen fraß sich die Kälte des Wassers in Tillas Haut, und einen Augenblick lang bildete sie sich ein, dieses Zeichen würde bis zu ihrem Ziel sichtbar bleiben. Dann beruhigten sich ihre Nerven und sie vermochte das Münster zu verlassen, ohne Roberts Beispiel zu folgen, der sich das Weihwasser von der Stirn wischte.
    Auch Hermann fuhr mit dem Ärmel über sein Gesicht, nachdem er draußen das Kreuz abgesetzt hatte, und blickte die anderen Männer der Gruppe auffordernd an. »Jetzt kann ein anderer von euch das Kreuz tragen!«
    Damit aber kam er bei Vater Thomas schlecht an. »Jeder Mann trägt das Kreuz einen Tag, und es geht reihum. Du bist der Erste. Also nimm es wieder auf und schreite hurtig aus. Wir werden bis zum Sonnenuntergang unterwegs sein!«
    »Bis zum Sonnenuntergang? Mit dem schweren Kreuz?« Hermann verdrehte die Augen.
    Ambros, den das Getue des jungen Burschen anwiderte, streckte die Hände aus, um das Kreuz selbst zu nehmen, doch Vater Thomas fiel ihm in den Arm.
    »Jeder hier hat sein Kreuz zu tragen. Unser Mitbruder Hermann soll sich nicht anstellen, denn er trägt es nur wenige Stunden, während ab morgen jeweils ein ganzer Tag auf den Träger wartet!«
    »Trägst auch du das Kreuz, frommer Vater?«, fragte Robert, der genau wusste, dass er am nächsten Tag an der Reihe sein würde.
    Der Prediger schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin euer Führer und für Weg, Unterkunft und Zehrung verantwortlich. Ich werde das Kreuz erst nehmen, wenn es kein anderer mehr zu tragen vermag.«
    Da der Rest der Gruppe leise zu murren begann, ergriff Hermann das Kreuz, das ihm nun noch um vieles schwerer vorkam als im Münster, und schulterte es. Das harte Holz schnitt ihm trotz des dünnen Lederpolsters, das er über seine Schulter gelegt hatte, ins Fleisch, und während die übrigen Wallfahrer ein Gebet anhuben, stöhnte und fluchte er leise vor sich hin.
    Tilla hatte bemerkt, dass das Kreuz abgerundete Kanten hatte und dadurch weitaus leichter zu tragen war als eines, das man aus zwei Balken zusammengefügt hatte. Doch Hermann schien bisher kaum etwas Schwereres gehoben zu haben als einen Weinhumpen in der Schenke. Da sie nun glaubte, ihn einschätzen zu können, richtete sie ihr Augenmerk auf die restlichen Männer der Gruppe, die sich als Dieter, Sepp, Manfred und Peter vorgestellt hatten, und versuchte sich auch von ihnen ein Bild zu machen.

III.
    Sebastian Laux wusste zuletzt nicht mehr, wie oft er Tilla während der letzten Tage in Gedanken den Hals umgedreht hatte. Seit er von seinem Vater mit ausreichend Reisegeld versehen hinter ihr hergeschickt worden war, hatte er so manche Meilezurückgelegt, ohne auch nur die geringste Spur der Vermissten zu finden.
    Dafür aber begegnete er Anton Schrimpp und Rigobert Böhdinger, die von zwei Knechten begleitet auf guten Pferden im ausgreifenden Trab die Straße entlangritten und ihn zwangen, sich mit einem Sprung über den Graben vor den Hufen in Sicherheit zu bringen. Ein Pferd wäre genau das gewesen, was er hätte brauchen können, dachte er, während er aufstand und den vier Reitern nachblickte, die bald in der Ferne verschwanden. Dann kehrte er mit einem langen Satz auf den Weg zurück und haderte eine Weile mit seinem Vater, der ihn auf Schusters Rappen losgeschickt hatte.
    Noch während er leise vor sich hin schimpfte, fragte er sich, was den jüngeren Schrimpp und Veit Gürtlers Neffen zusammengeführt haben mochte. Veit Gürtler und Antons Vater Matthias waren nie besonders gute Freunde gewesen, und Schrimpps ältester Sohn Mauriz galt als enger Geschäftspartner von Damian Laux. Anton selbst aber hatte bisher mehr an Otfried Willinger gehangen.
    Plötzlich zuckte Sebastian zusammen. Konnte Otfried die beiden hinter seiner Schwester

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