Die Pilgerin
für das Kloster gereicht, unterband weitere Fragen. Reichlich mit dem Segen des Mönchs versehen, verließ Sebastian die ansonsten recht gastfreundliche Stätte und schritt rasch aus. Es war bedauerlich, dass der Karmeliter sein Ziel kannte, doch er hoffte, dass dieser den Weg dorthin scheuen und sich ein willigeres Opfer suchen würde.
XI.
Sebastian erkannte Tilla auf Anhieb. Wie erwartet trug sie Männerkleidung und schien sich auch sonst als Mann zu geben, denn sie schleppte das schwere Pilgerkreuz ihrer Gruppe den Weg zur Basilika von Einsiedeln herab. Dem Ausdruck ihres Gesichts und ihrer schweißnassen Stirn nach musste sie das Kreuz bereits eine ganze Weile getragen haben, und wider Erwarten empfand Sebastian Bewunderung für sie. Tilla war keine, die so leicht aufgab oder nur halbe Sachen machte. Das hatte sie auch früher nicht getan. Er erinnerte sich daran, wie sie beide bei ihm zu Hause in den Vorratsspeicher mit dem Ostergebäck eingedrungen waren und er in seiner Gier eines der Beinedes Osterlamms gegessen hatte, das in der Kirche gesegnet worden war und von der Familie gemeinsam verzehrt werden sollte. Ihr war es gelungen, aus einem anderen Gebäckstück ein Ersatzbein zu schnitzen und es so geschickt anzuheften, dass es nicht einmal seiner Mutter aufgefallen war. Dafür war er Tilla heute noch dankbar, denn der mütterliche Zorn hätte sich sonst mit voller Wucht über ihm entladen.
Während Sebastian lächelnd auf die ankommende Gruppe zutrat, begriff er das Dilemma, in dem er nun steckte. Da sie Männerkleidung trug, konnte er nicht einfach hingehen und sie mit Tilla ansprechen. Wenn eine Frau in Männerkleidung entdeckt wurde, hatte sie für dieses Vergehen eine harte Strafe zu erwarten. Er sah bereits ihren nackten Rücken unter den Peitschenhieben zucken und rang sich im letzten Augenblick ein paar unauffällige Worte ab. »Gott zum Gruße, Vetter! Bin ich froh, dich gefunden zu haben.«
Tilla drehte sich durch das schwere Kreuz behindert um und sah ihn zunächst verständnislos an. Da er inzwischen die derbe Tracht der Santiago-Pilger mit einer knielangen Jacke, dem weiten Radmantel und dem breitkrempigen Hut trug, erkannte sie ihn nicht auf Anhieb und öffnete bereits den Mund, um ihm ein paar harsche Worte an den Kopf zu werfen. Dann aber kam ihr die Erleuchtung. »Sebastian!«
Das klang alles andere als begeistert. Der junge Mann war ein wenig gekränkt und wollte ihr eben erklären, welche Mühen es ihm bereitet hatte, sie zu finden. Da schob sich ein baumlanger Kerl zwischen Tilla und ihn.
»Was willst du von uns?« Ambros bemühte sich ebenfalls nicht, freundlich zu sein. Er war nicht auf den Kopf gefallen und hatte sich während der letzten Etappen einiges zusammenreimen können. Die Tatsache, dass Otto nicht mit den anderen zusammenbadete und auch nie seinen Hut abnahm, hatte in ihm den Verdacht aufkeimen lassen, eine junge Frau vor sich zu haben. Darauf wies auch die Tatsache hin, dass Ottos Wangen so glatt waren wie die eines Kindes, während bei allen anderen Männern der Gruppe der Bart prächtig spross. Gewitzt, wie der Goldschmied war, hatte er die Reiter, die nach ihrer Verwandten suchten, mit Otto in Verbindung gebracht und glaubte nun, in Sebastian einen weiteren Kerl zu sehen, der das Mädchen mit Gewalt in die Heimat schleppen wollte.
Sebastian spürte die Abneigung, die ihm Ambros entgegenbrachte, und erwiderte sie aus tiefstem Herzen, denn der Hüne benahm sich gerade so, als sei Tilla sein Eigentum. Empört plusterte Sebastian sich auf, um diesem kräftig die Meinung zu geigen, doch da trat Vater Thomas zu ihm und sprach ihn an. »Gott zum Gruße, Pilgersmann!«
»Auch dir Gottes Gruß, ehrwürdiger Mönch!« Aufgrund seiner Erfahrungen mit dem liebesbedürftigen Karmeliter wirkte Sebastians Antwort ein wenig reserviert.
»Ich bin kein Mönch, sondern Weltgeistlicher«, rückte Vater Thomas die Tatsachen zurecht. Er musterte Sebastian durchdringend und fand, dass dieser angebliche Verwandte Tillas ihm um einiges mehr zusagte als Rigobert Böhdinger und Anton Schrimpp.
»Du hast nach unserem Otto gesucht?« Der Pilgerführer blickte den jungen Mann so durchdringend an, als wolle er in seine Seele blicken.
Tilla nennt sich Otto. Darauf hätte ich selbst kommen können, sagte Sebastian sich, denn schließlich war sie auf den Namen Ottilie getauft worden. Da er nicht wusste, was sie den anderen Mitgliedern ihrer Pilgergruppe erzählt hatte, entschied er sich, die
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