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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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auch einige andere zeigten sich nicht gewillt, Rudolf von Starrheim als Weggefährten zu akzeptieren. Manfred stellte das Kreuz auf den Boden, hängte sich mit den Händen an die aufstrebenden Querbalken und äugte an dem Holz vorbei. »Ich will mit dem Herrn auch nichts zu tun haben, denn er hat das Kreuz schmählich missachtet und beinahe in den Dreck gestoßen!«
    Da sich nun auch noch Robert gegen den Ritter aussprach, wurde Vater Thomas in seiner Entscheidung schwankend. Tilla sah ihm an, dass er Starrheim am liebsten wieder losgeworden wäre, und fürchtete, er würde mit ihm auch Sebastian verjagen, der dann hilflos in der Fremde herumirren musste. Daher trat sie vor und neigte das Haupt vor ihrem Anführer.
    »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, wenn ich das Wort erhebe. Doch zählt nicht die Vergebung zu den christlichen Tugenden, die uns gelehrt wurden? Der Ritter hat seine Ehre eingesetzt, um seine Freunde zu retten. Soll ihm diese Tat von uns durch Unversöhnlichkeit gelohnt werden?«
    »Nein, natürlich nicht! Er kann mitkommen und sich an Sebastian halten. Und jetzt lasst uns aufbrechen! Wir haben durch diesen Zwischenfall schon zu viel Zeit verloren und werden unser nächstes Quartier nicht vor Anbruch der Nacht erreichen.« Vater Thomas klang bärbeißig, doch Tilla war nicht unzufrieden mit diesem Aufenthalt. In der Dunkelheit würde es für sie leichter sein, sich zu waschen und ihren körperlichen Verrichtungen nachzugehen als bei Tageslicht. Lange würde sie dieses Täuschungsspiel nicht mehr durchhalten, das fühlte sie. Doch noch hatte sie zu viel Angst vor den Verfolgern, die ihr Bruder auf ihre Fährte gesetzt hatte, um bereits jetzt wieder ihre Kleidung zu wechseln.

XIV.
    Schon in Konstanz hatte Tilla bemerkt, dass die Menschen dort ein wenig anders sprachen als in ihrer Heimat. Auf dem weiteren Weg hatte diese Veränderung sich schleichend fortgesetzt und es ihr immer schwerer gemacht, die Bewohner der Ortschaften und die Mönche in den Klöstern zu verstehen. Einige Tagesreisen nach ihrem Aufbruch aus Einsiedeln erreichten sie ein Pilgerhospiz, in dem sich die dort beschäftigten Knechte einer Sprache bedienten, die nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit ihrer eigenen aufwies. Auch wenn sie die Ohren noch so spitzte, vernahm sie kein Wort, das ihr bekannt vorkam, und sie wusste auch mit den Fragen nichts anzufangen, die ihr und den anderen Pilgern ihrer Gruppe gestellt wurden.
    Vater Thomas behalf sich mit Latein. Diese Sprache verstanden die Mönche mindestens ebenso gut wie ihre eigene und gaben die Bitten der Pilger an ihre Knechte weiter. Dann erklärte der Pilgerführer seinen Leuten, dass er den französischen Dialekt, der in diesen Landen gesprochen wurde, verstehen und sogar ein wenig sprechen konnte, aber nicht gut genug, um sich in allen Dingen verständlich zu machen.
    Pilger Rudolf, wie der habsburgische Graf nun genannt wurde, schien diese Probleme nicht zu kennen, denn sein Mund formte die fremden Worte mit einer Leichtigkeit, als hätte er die Sprache bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Da er sich jedoch ebenso wie Sebastian abseits der Gruppe hatte setzen müssen,profitierte nur der junge Laux von seinen Kenntnissen, während Vater Thomas’ Schäfchen sich hilflos um ihren Führer scharten und sich für Brot und Suppe, die man ihnen reichte, kaum zu bedanken wagten.
    Tilla hielt ihre Augen und auch die Ohren offen und versuchte, einige der Worte für sich nachzusprechen. Der erste Erfolg war, dass ihr ein Mönch einen weiteren Schöpflöffel Suppe in ihren Napf schüttete, denn sie hatte die entsprechende Bitte eines anderen Pilgers vor ihm wiederholt.
    »Habt Dank«, stotterte sie und starrte das Essen an. Sie war beinahe satt und wusste, dass sie kaum die Hälfte dessen, das sich in ihrem Napf befand, würde bezwingen können. Einen Teil der Suppe zurückgehen zu lassen, erschien ihr als Vergeudung guten Essens, auch wenn die Reste an die Schweine verfüttert wurden.
    »Hast du noch Hunger?«, fragte sie Ambros.
    Der Goldschmied hatte seine Schale bereits geleert und wischte sie gerade mit dem Rest seines Brotes aus. »Also, wenn du mich so fragst, könnte ich noch eine Kleinigkeit vertragen.«
    Ambros nahm ihr den Napf aus der Hand und setzte seine Mahlzeit fort. Ein dankbarer Blick streifte Tilla und gab ihr das Gefühl, eine gute Tat vollbracht zu haben. Trotzdem schwor sie sich, in Zukunft vorsichtiger zu sein mit dem, was sie sagte. Da sie gehört hatte, wie

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