Die Pilgerin
genügen, wenn du den Arm in einer Schlinge trägst. Otto, du hilfst Anna, denn du hast die sanftesten Hände von uns allen und wirst ihr nicht wehtun.«
Während Tilla gehorchte, wandte Hedwig sich an Renata. »Was ist mit dir?«
»Mein Knöchel! Er tut so weh.« Annas Schwester versuchte aufzutreten, stieß aber sofort einen Schmerzensschrei aus.
»Es geht nicht! Ich kann nicht laufen.«
»Dann muss einer der Männer dich tragen!« Vater Thomas musterte Hermann und Robert, die sich aber sofort hinter den anderen versteckten.
»Ich könnte die Frau tragen«, bot Sebastian an.
»Damit die Tante hinterher nur so von Flöhen und Läusen wimmelt und uns das Viehzeug vererbt? Bleibe du uns gefälligst sechs Dutzend Schritte vom Leib, wenn du schon nicht ganz verschwinden kannst.« Hermann machte eine Bewegung, als wolle er Sebastian wie ein lästiges Insekt verscheuchen.
Dieser hatte den Kampf gegen das Ungeziefer erneut aufgenommen, das sich über Bruder Carolus bei ihm eingenistet hatte, und war dabei durchaus erfolgreich gewesen. Ganz frei von den Blutsaugern war er jedoch noch immer nicht, und daher konnte er sich nicht gegen Hermanns harsche Worte zur Wehr setzen. Wütend, weil er für seine Hilfsbereitschaft nur beschimpftworden war, zog er sich von der Gruppe zurück und setzte sich ein Stück entfernt an den Straßenrand. Da es ihn gerade zwischen den Beinen juckte, griff er sich unwillkürlich in den Schritt und begann sich zu kratzen.
»Du spielst wohl mit deinen Eiern?«, rief Hermann ihm zu.
Sebastian schluckte die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hinunter, um den Pilgerführer nicht durch einen rüden Fluch gegen sich aufzubringen. Stattdessen stieg er die paar Schritte zu einem Bach hinab und begann, sich auszuziehen, um wieder Jagd auf das Getier zu machen, das er dringend loszuwerden wünschte.
Tillas Blick folgte ihm, und als sie ihn in seiner Nacktheit am Bach stehen sah, verglich sie ihn unbewusst mit ihrem Ehemann, den sie für kurze Zeit unbekleidet gesehen hatte. Gegen Gürtlers hageren, dicht behaarten Leib wirkte Sebastians ebenmäßig schlanke Gestalt wie die eines Engels – nur das weiße Gewand und die Flügel fehlten.
Vater Thomas’ mahnendes Räuspern erinnerte Tilla an die Unschicklichkeit ihres Tuns, und sie wandte sich mit hochrotem Kopf ab. Es war nur gut, dass in dem Augenblick keiner der anderen zu ihr hinsah, denn nie hatte sie mehr einem Mädchen geglichen als in diesem Augenblick.
Unterdessen war Ambros zu Renata getreten und hob sie auf, obwohl sie erklärte, dass es genügen würde, wenn er ihr seinen Arm als Stütze bot. Da sie nicht nachgab, fuhr Vater Thomas sie an und erklärte, dass es nicht in seinem Sinne wäre, wenn ihr Fuß durch ihre Unvernunft schlimmer würde und die ganze Pilgergruppe würde warten müssen, bis sie wieder gehen könnte.
Hedwig kümmerte sich unterdessen um Anna und half ihr auf dem weiteren Weg.
XIII.
Keine Viertelmeile weiter trafen sie wieder auf Starrheim und seine Begleiter, die einer Schar bewaffneter Schweizer Fußknechte gegenüberstanden, welche dem Grafen und seinen Leuten den Weg verlegten.
Der Anführer der Schweizer war ein hochgewachsener Kerl in einem rot und grün gestreiften Lederharnisch mit einem ebenso bemalten Eisenhut auf dem Kopf. Mit einem langen Hakenspieß in den Händen stand er breitbeinig auf dem Weg und grinste den Ritter an, der sich der Übermacht der Gegner schmerzlich bewusst zu sein schien. »Der Herr Graf wünscht, dass wir ihm den Weg freigeben! Doch Herren mit den österreichischen Farben im Wappen sind hier nicht gerne gesehen. Es könnte also sein, dass er selbst den Weg räumen muss, und zwar bis zum Jüngsten Tag!«
Hermann kicherte wie ein junges Mädchen, das eben einen dicken Pickel auf der Nase seiner ärgsten Widersacherin entdeckt hat. Vater Thomas aber war sichtlich besorgt. Wenn es zum Kampf kam, waren auch seine Leute in Gefahr, denn einmal in Fahrt geraten würden die Eidgenossen keinen Unterschied zwischen Rittern und Pilgern machen.
Er trat vor und hob die Hand. »Um Christi willen, haltet Frieden. Sind wir nicht alle Kinder Gottes?«
»Wir ja und ihr vielleicht auch, aber der Österreicher gewiss nicht!«
»Auch Österreicher sind Geschöpfe Gottes, denn wir alle stammen von Adam ab.« Starrheim schien seine Ruhe wiedergefunden zu haben, denn er ließ den Schwertgriff fahren und zeigte den Schweizern die blanke Handfläche.
»Wir sind Reisende und haben nichts Böses im
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