Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
kleinen Töchtern in Helsinki. Das heißt, du müsstest dorthin fliegen, wenn du sie sehen wolltest.«
Tsukuru stellte sich eine Karte von Europa vor. »Wenn ich’s mir recht überlege, bin ich bislang viel zu wenig gereist. Und ich habe noch jede Menge bezahlten Urlaub. Es wäre gar nicht so übel, sich mal das skandinavische Eisenbahnsystem anzuschauen.«
Sara lächelte. »Ich habe dir die Adresse und Telefonnummer ihrer Wohnung in Helsinki aufgeschrieben. Wie es kam, dass sie einen Finnen geheiratet und nach Finnland gezogen ist, kannst du selbst herausfinden oder sie fragen.«
»Danke. Ihre Adresse und Telefonnummer genügen.«
»Wenn du möchtest, kann ich dir helfen, deine Reise nach Finnland zu organisieren.«
»Das ist ja schließlich dein Spezialgebiet.«
»Und ich bin ziemlich kompetent darin.«
»Natürlich«, sagte Tsukuru.
Sara klappte den nächsten Ausdruck auf. »Ao, also Yoshio Oumi, arbeitet im Moment als Verkäufer bei einem Lexus-Händler in Nagoya. Er ist offenbar sehr tüchtig und erreicht ständig Spitzenverkaufszahlen. Er ist schon Abteilungsleiter, obwohl er noch ziemlich jung ist.«
»Lexus«, murmelte Tsukuru.
Er versuchte sich Ao im Anzug vorzustellen, wie er in dem hellen Ausstellungsraum seinen Kunden elegante Limousinen mit Ledersitzen präsentierte und mit verbindlichem Lächeln die Qualität der Lackierung erklärte. Aber das Bild wollte sich nicht einstellen. Stattdessen sah er Ao in einem Rugby-Trikot, wie er völlig verschwitzt Gerstentee direkt aus der Kanne trank und beim Essen immer zwei Portionen in sich hineinstopfte.
»Überrascht dich das?«
»Ja, ein bisschen«, sagte Tsukuru. »Aber vielleicht eignet Ao sich wirklich gut als Verkäufer. Er ist ein geradliniger Charakter, kein sehr guter Redner, aber ein Typ, zu dem man spontan Vertrauen hat. Er ist nicht zu raffiniert, was ihm auf lange Sicht bestimmt zugutekommt.«
»Lexus soll ja hervorragende und zuverlässige Wagen produzieren.«
»Wenn er so ein ausgezeichneter Verkäufer ist, verkauft er mir vielleicht gleich einen.«
Sara lachte. »Möglich.«
Tsukurus Vater hatte immer einen großen Mercedes gefahren, den er exakt alle drei Jahre gegen ein neues Modell der gleichen Klasse eintauschte. Vielleicht hatte sogar der Händler automatisch alle drei Jahre den alten Wagen durch das neueste voll ausgestattete Modell ersetzt. Die Autos seines Vaters hatten nie einen Kratzer. Er fuhr die blitzenden Karossen auch nicht selbst, sondern hatte immer einen Chauffeur. Die Fenster waren dunkelgrau getönt, sodass niemand hineinschauen konnte. Die Radkappen funkelten wie frisch geprägte Silbermünzen. Die Türen schlossen mit einem soliden Schnappen, das an einen Tresor erinnerte, und das Innere des Wagens war wirklich wie eine geheime Kammer. Auf seinem Rücksitz fühlte man sich dem Chaos der Welt weit entrückt. Tsukuru war als Kind sehr ungern in diesen Wagen gefahren. Sie waren ihm zu ruhig. Sein Geschmack hatte sich nicht geändert. Er mochte Bahnhöfe und Züge, wo es lebhaft zuging und von Menschen wimmelte.
»Nach der Uni hat Ao lange bei einem Toyota-Händler gearbeitet und auch dort ausgezeichnet verkauft. Aber als Toyota 2005 die Marke Lexus in Japan einführte, hat man ihn ausgewählt, die Filiale in Nagoya zu übernehmen. Goodbye, Corolla, hello, Lexus «, erzählte Sara mit einem prüfenden Blick auf die Nägel ihrer linken Hand. »Es sollte also nicht schwierig für dich sein, Ao zu begegnen. Du brauchst ihn ja nur in seinem Autohaus aufzusuchen.«
»Stimmt«, sagte Tsukuru.
Sara nahm das nächste Blatt zur Hand.
»In Akas oder Kei Akamatsus Leben ist es ganz schön rundgegangen. Er hat ein ausgezeichnetes Examen in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Nagoya gemacht und danach in einem großen Bankhaus angefangen. Bei einer sogenannten Mega-Bank. Aus irgendeinem Grund hat er schon nach drei Jahren gekündigt und zu einem führenden Finanzunternehmen gewechselt. Es gehört einem Kredithai aus Nagoya, über den wilde Gerüchte in Umlauf sind. Aber auch dort hörte er nach zweieinhalb Jahren überraschend wieder auf. Offenbar hat er irgendwo Kapital aufgetrieben und ein eigenes Zentrum gegründet, in dem er mit Selbsterfahrungs-Seminaren kombinierte Mitarbeiterschulungen anbietet. Er nennt das ›Creative-Business-Seminare‹. Im Augenblick hat er erstaunlichen Erfolg damit. Seine Geschäftsräume befinden sich in einem Hochhaus im Zentrum von Nagoya, und er beschäftigt eine ganz hübsche
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